Manchen Ausgeburten menschlichen Schöpfergeistes gebührt allein ob ihrer Skurrilität ein Ehrenplatz im virtuellen Museum der verrücktesten Erfindungen; eine davon ist sicherlich das Amphirol
Die Liste möglicher Pionier-Taten auf diesem Planeten ist am 8. April 2002 um eine Position kürzer geworden: An diesem Tag erreichten Steve Brooks und Graham Stratfort bei ihrem am 5. April in Wales (Alaska) gestarteten Versuch, die Behring-Straße zu überqueren, das russische Festland. Ihre Spazierfahrt verlegten sie wohlweißlich in eine Jahreszeit, in der die Temperatur in der Region auf einen Wert unter 70 Grad Celsius fällt. Nur dann nämlich bildet sich auf der Meerenge zwischen Alaska und Sibirien eine dünne Eisschicht. Die Idee dabei: Die Briten wollten die rund 90 Kilometer lange Strecke mit einem Landfahrzeug zurückzulegen. Das Snowbird 6, mit dem die beiden die Beringstraße bezwungen haben, ist am Ende nämlich nichts anderes als eine von einem Sechszylinder-Motor angetriebene Pistenraupe. Die wurde allerdings um zwei ganz entscheidende Bauteile ergänzt: Zwei seitlich angebrachte Ponton-ähnliche, drehbare Spindeln, die mit einem Gewinde versehen sind. Sie dienten dem Gefährt dazu, sich auch bei der Überquerung nicht zugefrorener Flächen vorwärts zu bewegen und sie verleihen ihm den auf dem Wasser den nötigen Auftrieb.
Ein hanebüchener Antrieb! Wer denkt sich so etwas aus? Gibt es da womöglich frühere Parallelen? Um es gleich vorweg zu nehmen: Es gibt sie! Und noch nicht einmal wenige.
Amerikanischer Pioniergeist
Die Anfänge des Schraubenantriebs rühren aus einer Zeit, in der man zwar per Eisenbahn bereits mit hohen Geschwindigkeiten weite Strecken zurücklegen oder aber mit entsprechend starken Lokomotiven schwerste Züge bewegen konnte; doch für die kurze Strecke vom Bahnhof nach Hause oder aber analog für das Bewegen schwerer Lasten etwa in der Landwirtschaft noch immer auf die Zugkräfte von Pferden angewiesen war. Autos gab es noch nicht und vor allem kaum brauchbare Verkehrswege. Auf vielen Landstraßen versanken in den feuchten Monaten des Jahres bereits die aus Holz gebauten Kutschen buchstäblich im Matsch.
Wie also sollte da erst ein Fahrzeug mit der damals einzig verfügbaren maschinellen Kraftquelle, dem Dampfantrieb, etwa das Ziehen eines Pfluges auf dem Acker übernehmen? Derartige Gedanken trieben Jacob Morath aus St. Louis, Missouri, als er 1899 seinen Entwurf eines dampfgetriebenen Pfluges vorstellte, bei dem jeweils eine Gewindespindel an die Stelle der für ein gewöhnliches Fahrzeug üblichen vier Räder trat. Diese Gewindespindeln sollten gegenläufig rotieren und den Pflug damit buchstäblich über den Acker schrauben. Gebaut wurde er nie. Den Ruhm als Erbauer des ersten Land-Fahrzeugs mit Schneckenantrieb können James und Ira Peavey aus Maine für sich reklamieren. Von ihrem 1907 zum Patent angemeldeten Schlepper, mit dem sie in erster Linie Holzstämme auf tief verschneitem Untergrund ziehen wollten, entstanden zwei Prototypen, einer mit Motor-Antrieb, einer mit Dampfantrieb. Die Konstruktion basierte auf zwei im hinteren Teil des Gefährts angebrachten rotierenden Spindeln und einer vorne angeordneten Deichsel, die auf Kufen lief. Die Schlepper bewährten sich zwar auf festem Schnee, scheiterten aber grandios im Pulverschnee weil die Flanken des um die Spindeln gelegten Gewindes nicht genug Grip entwickelten.
Diese Erfahrung machten sich die Brüder Charles and Frederick Burch bei ihrem ein Jahr später patentierten Auto-Schlitten zu Nutze: Die Antriebsspindeln ihres wiederum mit Kufen für die Steuerung versehenen Gefährts hatten weit hervorstehende Gewinde-Flanken. Für die Einrichtung des von ihnen geplanten Pendelverkehrs zwischen Cordova, Fairbanks und Nome unternahmen sie im Winter 1909 im Atlin District umfangreiche Testfahrten, doch so wie es aussieht, haben sie mit dem Burch-Mobil nie die Grenze nach Kanada überquert.
Der erste Schraubenschlepper
Den Erfolg brachte dreizehn Jahre später ein Konzept, das zwar wieder das Prinzip der gegenläufig rotierenden Spindeln aufgriff, die Lenkung aber über die Variation der Rotationsgeschwindigkeit der Spindeln bewerkstelligte. Die Idee war der schon etwas früher einsetzenden Entwicklung von Kettenfahrzeugen abgeschaut. Die dazu notwendige Doppelkupplung wurde über ein ganz normales Lenkrad bedient. Maßgeblichen Anteil am Erfolg hatte dabei sicher der Umstand, dass dieses Schneemobil im Wesentlichen auf einem der in der Landwirtschaft inzwischen hinlänglich bewährten Traktor aufbaute, dem Model F der aus dem Ford-Konzern ausgegliederten Fordson Traktoren-Fertigung.Dazu trennte man das zur tragenden Einheit ausgebildete vordere Motorgehäuse von der hinteren Kupplungs/Getriebe-Sektion und ersetzte letztere durch ein Doppelkupplungs-Gehäuse.Mit Hilfe dieser beiden Kupplungen konnte der Fahrer die Antriebskräfte in Abhängigkeit von der Stellung des Lenkrads in unterschiedlichem Maße auf die beiden Spindelantriebe aufteilen. Das nach dem Hersteller des zu Grunde liegenden Fordson Traktors Fordson Snow Mobil genannte Gefährt erwies sich als überaus wendig, kam im Schnee relativ zügig voran und konnte enorme Lasten schleppen. Ein echter Clou war die Möglichkeit, beide Spindeln auch in gleicher Drehrichtung laufen zu lassen, was eine verblüffende seitliche Fortbewegung zur Folge hatte. Doch nicht allein der Rückgriff auf ein bewährtes Fahrzeug aus der Serienfertigung trug zu den vergleichsweise überragenden Fahreigenschaften bei, sondern auch die Verwendung sehr großer Spindeln, die das Fahrzeuggewicht auf eine relativ große Aufstandsfläche verteilten. Der Fordson Snow Motor konnte daher auch mühelos im Tiefschnee operieren. So war diesem Gefährt mit Schraubenantrieb erstmals auch ein gewisser kommerzieller Erfolg beschieden. Bestellungen aus Canada, Norwegen, Schweden und Alaska gingen ein, ein Exemplar wurde in der Schweiz einer eingehenden Prüfung unterzogen. Überliefert ist der Einsatz des Snow Motors bei der Oregon Stage Line für ihre beiden täglichen Rundfahrten über den Mackenzie Pass zwischen Eugene and Bend und bei der Hudson Bay Co. zur Aufrechterhaltung des Kontaktes mit ihren Außenstationen in den Wintermonaten. Es wurde sogar erwogen, die Royal Northwest Mounted Police mit dem Fordson auszustatten. 1926 kamen drei dieser Vehikel bei den Vorbereitungen zur Transpolar Flight Expedition des Australiers Hubert Wilkins zum Einsatz. Unter dem Eindruck ihrer in einem zeitgenössischen Werbefilm zur Schau gestellten Zugkraft hatte Wilkins sie für die Aufgabe angeschafft, diverse Schlittengespanne mit Ausrüstung und Treibstoff von Nenana nach Barrow zu schleppen, von wo er zu diversen Erkundungsflügen über die Arktis starten wollte. Dieser Einsatz endete für die Snow Mobile in einem Disaster.
Vorläufiges Ende und Comeback als Amphirol
So schlüssig der Antrieb auch war, durch die rasch voran schreitende Entwicklung des militärisch für Panzer nutzbaren Kettenantriebs geriet das Konzept in der Folgezeit in Vergessenheit. Traktoren, Planierraupen, schwere Bagger nutzen dieser Art der Kraftübertragung auf schwierigstem Terrain.
Erst als während des Vietnam-Kriegs der Bedarf nach einem Fahrzeug auftauchte, das sich auf rasch einander abwechselndem matschig-sandigem und wässrigen Untergrund bewährt, konnte der Schraubenantrieb seine Stärken ausspielen. Denn der Rückgriff auf den in Vergessenheit geratenen Antrieb des Fordson Snow Mobiles beinhaltete zugleich eine zweite nützliche Eigenschaft: Die voluminösen Spindeln erzeugten nämlich so viel Auftrieb, das man mit dem Vehikel auch Wasserflächen befahren konnte. So erklärt sich auch der heute gebräuchliche Name „Amphirol“ für Gefährte mit diesemAntriebskonzept.Nach mehreren missglückten Anläufen präsentierte Chrysler 1969 schließlich das Riverine Utility Craft (RUC), das sich auf zwei Alu-Spindeln mit einem Meter Durchmesser fortbewegen konnte. Und das ziemlich schnell: im Wasser erreichte es eine Geschwindigkeit von bis zu 15,7 Knoten; im Schlamm waren mit mehr Grip sogar 25 Knoten drin.
Auf dem Höhepunkt der russischen Spionagetätigkeit während des Kalten Krieges war es daher sicher kein Zufall, dass so ein Gefährt schließlich auch hinter dem eisernen Vorhang auftauchte: das russische ZIL-2906. Der militärische Nutzen dieser geklauten Technik hielt sich jedoch in Grenzen. Anders verhielt es sich mit dem zivilen Einsatz in der weitläufigen russischen Tundra. Im Frühjahr sowie im Herbst kaum passierbar, war das ZIL-2906 hier genau richtig. Angeblich sollen mit seiner Hilfe mehrere Male russische Kosmonaten nach ihrer Landung eingesammelt worden sein.
Und heute?
In einer Zeit, in der alles und jedermann nur noch nach dem Begriff der Effektivität gemessen wird, hat ein derart „verrücktes“ Fahrzeug kaum einen Platz, sollte man meinen. Doch das Amphirol lebt weiter. Wenn auch zum Teil in deutlich veränderter Form.
So bietet eine kleine im Norden der japanischen Insel Hokkaido angesiedelte Reederei während der Wintermonate Ausflugsfahrten über das Ochotskische Meer an. Dieser durch die Inseln Sachalin, Hokkaido und die Halbinsel Kamchatka weitgehend umschlossene Teil des Nord-Pazifiks ist im Winter von dichtem Treibeis überzogen. Ein Naturschauspiel erster Güte, tummeln sich doch allerlei Tierarten auf den schwimmenden Inseln. Um dem relativ kleinen Schiff der Reederei, der Garinko II, ein Auflaufen auf größere Eisschollen zu ermöglichen, verfügt das Schiff am Bug über zwei große angetriebene Gewinde-Spindeln, die in einem solchen Fall zugeschaltet werden. Das Prinzip scheint sich hier ebenfalls zu bewähren: Schon das längst ausgemusterte erste Schiff der Reederei, die Garinko I besaß vorne am Rumpf den Schraubenantrieb.
Schlammschlacht
Für ein weiteres Beispiel muss man einen ganz anderen Ort der Erde aufsuchen: Australien. Dort hat die Firma Residue Solution Pty den MudMaster in Betrieb, ein hochmodernes Amphirol erster Güte. Hier spielt jedoch nicht die Fortbewegung selbst, sondern die Wechselwirkung des Gefährts mit dem Untergrund die vordergründige Rolle. Denn mehrmaliges Befahren eines schlammreichen, kaum tragfähigen Grundes führt zu seiner beschleunigten Entwässerung. Nachdem der 18 Tonnen schwere und achteinhalb Meter lange MudMaster eine Zeit lang auf dem Schlamm herumgekurvt ist, hat sich der Boden soweit verfestigt, dass man ihm mit konventionellem Gerät zu Leibe rücken kann.Diese bis zu einen Meter tief reichende Wirkung macht sich seit etwa fünfzehn Jahren in zunehmenden Maße die Bauxit-Industrie zu Nutzen: Während der Produktion fallen riesige Mengen Schlamm an, die in großen Rückhaltebecken gespeichert werden. Aufgrund der geringen Wasserdurchlässigkeit des Materials trocknen diese Areale allein unter Sonneneinwirkung jedoch nur sehr langsam aus.
Noch weiter zurück in der Geschichte
Schon Jahre vor dem ersten Landfahrzeug mit Schraubenantrieb wurde diese Art der Fortbewegung erstmals bei einem Schiff eingesetzt: Der 1875 in Dienst gestellte russische Panzerkreuzer „General-Admiral“ nutzte ebenso wie sein Schwesterschiff Herzog Edimburgskij zwei Gewinde-Spindeln als Antrieb. Sie lagen in zwei Tunnels, die sich in voller Länge durch das Schiff erstreckten. Angetrieben von einer 4.470 PS starken Dampfmaschine erreichten die Schiffe mit diesem Wasserstrahl-Antrieb eine Geschwindigkeit von 12 Knoten.