Wer der Enge und der Begrenztheit seiner Heimat gerne mal für ein paar Tage entfliehen möchte, der findet in den Weiten Lapplands genau das richtige Terrain. Hier kann man tun, was alle Nordlichter tun: Eisfischen, Motorschlitten fahren und einiges mehr...

„Wahnsinn, das ist so geil – ich kann überhaupt nicht mehr aufhören!“ ein ungemein breites Grinsen schlägt mir entgegen, als ich für einige Einführungsrunden zu einem eiserprobten Piloten ins Cockpit steige und mich auf den Beifahrersitz fallen lasse. Seit dem es hell ist – seit ca. halb Zehn – prügeln sie hier bei bestem Wetter ein halbes Dutzend Audi TT übers Es. Eisdrift-Challenge nennt sich das.
Der kurvenreiche Rundkurs, hineingefräst in die Schneedecke eines zugefrorenen Sees, bietet ideale Bedingungen, die 225 PS der Sportwagen von der Leine zu lassen. Da, wo die tief stehende Sonne seit rund drei Stunden aufs Eis trifft, ist in den Kurven der Untergrund inzwischen nahezu glatt poliert. Wirklich tauen kann hier freilich Nichts. Wir sind in Lappland, kaum mehr als hundertfünfzig Kilometer vom Polarkreis entfernt. Auch bei bestem Wetter ist es hier bitter kalt. Zumindest für Deutsche Verhältnisse: Das Thermometer klettert an diesem Tag auf maximal - 16 C.
Eisdrift-Challenge

Zuerst gilt es, die Strecke ein wenig kennenzulernen. Wir fahren raus auf den See. Auf eine langgezogene Linkskurve folgt eine Kombination von hundsgemeinen Serpentinen, die immer enger werden. „Die Kurve hier ist die Hölle,“ erklärt mein Fahrer, „hier musst Du echt aufpassen.“ Und in der Tat: Mehrfach ist hier an den Kurvenaußenseite die von der Fräse hinterlassene saubere Kante der Schneedecke zu einem groben Schneehaufen zusammengeschoben – Spuren unfreiwilliger Ausflüge in den Tiefschnee.

Jetzt bin ich an der Reihe. Der Instruktor steigt zu mir ins Auto. Sein erster Blick gilt dem ESP-Off-Schalter. Alles okay? Dann eine kurze Begrüßung. „Hey, hey, Guy.“ Es kann losgehen! Zuerst fahre ich eine Orientierungs-Runde: Diese Kurve so nehmen, die nächste etwas langsamer und in dieser Kurve besser keinen Drift versuchen – es ist die gleiche, vor der ich schon in der ersten Runde auf dem Beifahrersitz gewarnt wurde. Schon sind wir die Strecke einmal abgefahren. „Okay Guy,“ mein Instruktor fokussiert mich auf das, was vor mir liegt. „Hochschalten in den zweiten Gang; auf einen möglichst engen Weg um die nächste Kurve zuhalten – schön am Gas bleiben – einlenken und vom Gas gehen; warten, bis der Arsch kommt; warten… und jetzt Gas geben!“ Der Wagen beginnt sich querzustellen – der beste Moment zum Einleiten des Drifts. Doch der Vierzylinder kommt nicht so recht aus dem Quark. Als er endlich am Gas hängt, nähert sich sich das Coupé bereits wieder in gerader Linie bedenklich schnell der seitlich verlaufenden Tiefschneekante. Zeit also zum Gegenzulenken – und das bitte schnell!

Wie mir geht es in diesem Moment fünf weiteren PS-Gesteuerten: Wir entdecken gerade, wie viel Spaß es macht, in der Rennsemmel übers Eis zu schießen. Und dieser See nahe der Gemeinde Arvidsjaur ist heute – egal ob es ihm passt oder nicht – vor allem eines: Ein Männerspielplatz allererster Güte. Aber eben nix für Bangbüchsen! Und das soll er auch gar nicht!
Das Adrenalin reist mit

Nix für Bangbüxen, das ist nicht nur Programm an diesem Sonntag; so nennt sich auch der Hamburger Anbieter dieses Abenteuer-Trips nach Nord-Schweden, zu dem weit mehr zählt als nur dieses Drift-Erlebnis auf dem Eis. Nix für Bangbüchsen hat nämlich für alle Unerschrockenen, die sich nach Lappland trauen, noch eine ganze Reihe weiterer nordschwedischer Spezialitäten im Petto. Allesamt Delikatessen, nach denen Mann sich in aller Regel die Finger leckt. Sei es ein Überlebenstraining im hohen Norden, das Eisfischen durch ein Loch in der Eisdecke der zugefrorenen Seen, der Bau von Iglos, Schneeschuh-Touren, der Besuch der gewaltigen Storforsen-Stromschnellen im Piteälven Naturreservat oder eine Fahrt auf dem Huskey-Schlitten.

Apropos Schlitten: Die Hauptattraktion der Adrenalinreisen nach Schweden fehlt ja noch: Ausgedehnte Fahrten mit PS-starken Motorschlitten durch den von Mitte November bis Mitte Mai tief verschneiten schwedischen Teil von Lappland. Supertour, der schwedische Partner des Hamburger Veranstalters, verfügt über eine stattliche Zahl modernster Yamaha-Schlitten. Supertour kann eben mal sechzig bis siebzig Gäste zugleich mit Schlitten ausstatten. Täglich brechen hier mehrere acht- bis zehnköpfige Gruppen zu Expeditionen in die Weite der läppischen Wälder auf.
Verlängerte Werkbank der Autoindustrie

Und gruppenweise schweben die Abenteurer mit dem Freitags und Montags verkehrenden Charter-Flieger auch direkt in Arvidsjaur ein. Untergebracht sind sie in der urgemütlichen Lappland-Lodge, dem Basislager von Supertour. Hier wartet skandinavisch geprägter Komfort – natürlich mit Sauna. Ein Flughafen, zwei große Hotels, ein gut sortierter Andenkenladen – wie kommt es, dass dieser Flecken im Nirgendwo touristisch derart gut erschlossen ist? „Naja, eigentlich spielt der Tourismus hier eher eine untergeordnete Rolle,“ erklärt Jürgen Latki, Chef der Lappland-Lodge, „es ist vor allem die Autoindustrie, die diese Region schon vor Jahrzehnten als ideales Terrain für ausgedehnte Tests von Reifen, Bremssystemen und anderem Zeug entdeckt hat. Denn das Eis bietet über einen langen Zeitraum konstante Rahmenbedingungen.“ Dadurch können Testreihen etwa aus dem Dezember ohne große Umstände mit solchen aus dem Februar verglichen werden; ein unschätzbarer Vorteil.

Fast alle Marken haben hier eine eigene Infrastruktur aufgebaut und testen von neugierigen Blicken unbehelligt jede auf ihrem eigenen Gelände. Platz gibt es genug: „In der Gemeinde Arvidsjaur liegen rund 4.500 Seen. In der Nachbargemeinde sind es sogar an die 7.000. Da kommt man sich kaum in die Quere.“ Getestet wird hier am laufenden Band; in den wenigen Tagen unseres Aufenthalts bekamen wir gleich fünf der letztlich immer gleich beklebten „Erlkönige“ zu Gesicht. Und ständig karren Autotransporter PKW vor allem Deutscher Marken in das verschlafene Nest in Nord-Schweden.
Nordische Freiheit

Autoingenieure und Adrenalin-Junkies; sonst verirrt sich kaum jemand hierher – wenn er nicht ohnehin schon hier lebt. Abgesehen von einigen ganz eigenen Köpfen. Latki ist so einer. Vor zwölf Jahren hat der Süddeutsche hier eine neue Heimat gefunden und eine Familie gegründet. Was treibt ihn hierher in den Norden? „Du musst Dich nur umschauen auf Deiner Schlitten-Tour. Diese riesigen Wälder, diese unberührte Natur. Wo auf der Welt findest Du das noch?“ entgegnet er auf meine Frage, „hier kannst Du eigentlich machen, was Du willst. Ganz anders als in Deutschland, wo es fast für alles eine Vorschrift gibt.“ So fahre ich denn am Ende des Tages mit einem der Drift-TTs zurück zur Lappland Lodge. Dem Wagen sieht man sein Tagewerk an. Ein bisschen beneide ich diejenigen, die morgen mit der Rennsemmel übers Eis schießen werden...