Baggern im Miniatur-Format

Zahnräder vom Uhrmacher, winzige Dioden und Motörchen, deren Durchmesser kaum über dem eines Streichholzkopfes liegt – das ist die Welt von Thorsten Feuchter. Dann zumindest, wenn der liebevolle Vater seine Kinder ins Bett gebracht hat und sich in seinem Hobby-Keller vergräbt: Thorsten Feuchter ist passionierter Modellbauer. Seine wichtigsten Werkzeuge dabei sind Pinzette und Lupe
Ein Kreuz wie ein Kleiderschrank und Hände wie Bratpfannen – Thorsten Feuchter ist ein wirklich stämmiger Typ. Und doch gilt seine Leidenschaft einer bestimmten Profession, die mich vor einigen Jahren, als ich das erste Mal darüber gestolpert war, zunächst recht sprachlos machte. Der Uelzener baut ferngesteuerte Modelle von Nutzfahrzeugen: Schiffe, LKW, Krane und besonders gerne Bagger! Und das in einem rekordverdächtigen Größe: In Feuchters Welt stehen Modell und Original in einem Verhältnis von 1:87 – also genau der Verkleinerungsfaktor der bis heute am weitesten verbreiteten Modellbahn-Spurgröße H0.

Zurück zur Märklin-Eisenbahn

Egal ob Sie als Junge nun die übliche Märklin-Eisenbahn hatten, Fleischmann oder Trix; alle kamen in der gleichen Größe daher. Häuser, Brücken, Modellautos – alles war und ist bis heute 87mal kleiner als das Original.
Doch gab es vor 35 bis 40 Jahren am heiligen Abend schon mal lange Gesichter, weil unterm Weihnachtsbaum nicht die ersehnte E-Lok oder der Schnelltriebwagen lag, den man doch tagtäglich vor Augen hatte – schlicht und einfach, weil bis dato kein Hersteller ein solches Modell aufgelegt hatte, ist die Modellbahnerei heute ein eigenständiger Industriezweig mit stattlichen Umsatzzahlen. Mit anderen Worten: Es gibt fast alles, was die bald 200-jährige Geschichte der Eisenbahn jemals gesehen hat, als Modell.
Und das macht für den Mann aus Uelzen und viele seiner zahlreichen Modellbaukollegen den besonderen Reiz aus. Ob Lanz Bulldog, Isetta, Krupp Titan oder Menck 152; irgend einer der zur Szene gehörenden Produzenten von Modellautos – Wiking, Brekina, Herpa oder Kibri etwa – hat ein zumindest abgewandeltes Modell des eigenen Wunschmodells im Programm. Für Feuchter und seine Mitstreiter besteht die Herausforderung daher nicht in der perfekten Nachbildung der äußeren Gestalt eines Fahrzeugs, das man im Zweifelsfall so oder so ähnlich ohnehin kaufen kann, sondern darin, dem jeweiligen Modell ein adäquates Leben einzuhauchen. Ungeachtet des überaus bescheidenen Platzangebots im Inneren dieser Modelle sind z.B. Feuchters Sattelzugmaschinen in der Lage, ihren Auflieger abzustellen und ihre Fahrt mit einem anderen Auflieger fortzusetzen; Tieflader senken ihre Rampen herab und können hernach von einem zweiten Fahrzeug befahren werden; Kehrmaschinen kehren, Gabelstapler stapeln und Bagger baggern. Hinzu kommt natürlich das volle „Beleuchtungs-Programm“: Scheinwerfer vorn; Rücklicht, Bremslicht und Rückfahrscheinwerfer hinten, selbstverständlich Blinker und ohne Frage natürlich auch all das, was der jeweilige Fahrzeugtyp möglicherweise noch an Lichtquellen zu bieten hatte.

Täuschende Illusion

Der mit der Eisenbahn übereinstimmende Maßstab und das in großer Vielfalt verfügbare Modellbau-Material ist für Feuchter und seine Modellbaufreunde zudem noch in anderer Hinsicht von großem Vorteil. Sie können dadurch mit überschaubarem Aufwand ganze Modell-Landschaften als Bühne für ihre Funktionsmodelle erschaffen – sie brauchen sich nur aus den Regalen der einschlägigen Zubehör-Anbieter zu bedienen. So hat auch Feuchter in seinem Hobby-Keller ein kleines Diorama erstellt, eine fiktive Szene eines kleinen Hafens, dem die Herkunft dieser Modellbau-Disziplin noch deutlich anzusehen ist: Neben Kai-Mauer mit Verladekran, einer kleinen Werft mit Helling und einigen anderen Nebengebäuden führen hier ein paar Gleise einer Schmalspurbahn noch ein Statisten-Dasein. Und genau genommen ist es vor vielen Jahren auch einer der ältesten Produzenten für Modellbahnzubehör, die Firma Faller, gewesen, welche die Steilvorlage für die Entstehung dieser Spezial-Disziplin des Modellbaus geliefert hat:
Mit dem so genannten Faller Car-System, 1989 auf der Spielwarenmesse in Nürnberg präsentiert, standen erstmals einige Fahrzeuge zur Verfügung, die über einen Motorantrieb und über eine lenkbare Vorderachse verfügten. Gelenkt wurde freilich durch einen zuvor in der Fahrbahn eingelassenen magnetischen Draht, mit dem ein winziger Magnet Tuchfühlung hielt, der seinerseits am Lenkgestänge der Fahrzeuge befestigt war. Damit besaßen die Mikro-Modellbauer der ersten Stunde bereits zwei Schlüsselkomponenten, an die zu dieser Zeit kaum heranzukommen war.

Modernste Technik

Auch Thorsten Feuchter und sein Modellbau-Kollege Harry Jacobsen stellten zu dieser Zeit ihre ersten Modelle fertig – ausgewachsene LKW, bis zum Rand gefüllt mit Technik. Heute stellt die Versorgung mit den benötigten Teilen kein Problem mehr dar. Die in den neunziger Jahren in der Elektronik rasant zunehmende Verwendung von sogenannten SMD-Bauelementen machte Komponenten in bis dato unvorstellbarer Miniaturisierung verfügbar. LEDs gibts mittlerweile in einer Größe, gegen die sich ein Brotkrümel als Riese ausnimmt. Und die um sich greifende Mobilfunk-Welle lieferte mit ihren winzigen Vibrationsmotoren und Akkus die Grundlagen für immer kleinere Modelle.
Auch die Steuerung dieser hochkomplexen Wunderwerke hat sich mittlerweile weiterentwickelt. Gab es zu Beginn keine Alternative zum FM-Handsender, mit dem etwa auch die Freunde Benzin-getriebener Modell-Flugzeuge ihre Schätzchen an die unsichtbare Leine nehmen, brachten es irgendwann findige Tüftler fertig, Steuerungen auf Basis der Infrarottechnik zu bauen, mit der wir seit ehedem Fernseher und Videorecorder in Betrieb nehmen. Inzwischen ist auch dies längst nichts Besonderes mehr. Feuchter präsentiert mir in seinem Keller den Prototypen einer neuen Steuerung, die auf dem Bluetooth-Protokoll aufbaut; der Technik also, mit der PC, Handy, Drucker, Tastatur und Maus miteinander kommunizieren. Eine Antenne ist nicht mehr nötig und die viel kleinere Steuerung „passt doch auch viel besser zu den zierlichen Modellen“, wie Feuchter meint. An die zwanzig solcher Mikromodelle hat Thorsten Feuchter inzwischen gebaut, verschiedene LKW, einen Krankenwagen mit Blaulicht, einen geländegängigen Unimog mit Allradantrieb und inzwischen den dritten Menck-Bagger, ein ehemals bedeutendes Fabrikat, dass in seiner Kindheit noch an jeder Baustelle anzutreffen war. „Die Bagger des 1978 in Konkurs gegangenen Hamburger Traditionsunternehmens haben es mir einfach angetan,“ gibt Feuchter zu.

Der Selbstversuch

Nachdem ich mich mit dem Unimog auf dem Hafengelände „warm“ gefahren habe, drückt mir Feuchter die Steuereinheit für sein neuestes Modell in die Hand: einen jener Mencks, ein 152er. Es ist ein wunderschönes Modell, versehen mit den Spuren jahrelanger Schwerstarbeit: Schmutz und Öl-Flecken täuschend echt mit Farbe angedeutet überziehen das ganze Gerät. Es ist ein Tieflöffelbagger, wie er zum Beispiel für die Verladung von Schüttgut eingesetzt wurde.
Bevor ich mit dem Baggern beginnen kann gilt es zunächst, das Modell, das mir Feuchter willkürlich irgendwohin auf ein weiteres Diorama hingesetzt hat, optimal in Positur zu bringen. Beide Joysticks der Fernsteuerung vorsichtig nach vorn gedrückt, lassen das kleine Modell rumpelnd in vorwärts fahren. Es ist ein erhabener Anblick, wie die aus beweglichen Gliedern bestehenden Ketten sich langsam über die zierlichen Speichenräder bewegen. Wow! Meine anfängliche Vorsicht stellt sich schnell jedoch als übertrieben heraus. Baggertypisch kommt mein Gefährt selbst bei Vollgas nur gemächlich voran.
Endlich habe ich mich in Stellung gebracht und erhalte nun den Auftrag, die vor meinem Bagger sich aufbauende Halde aus gemahlenem Kork in den seitlich abgestellten Kaelble-Kipper zu schaufeln. Da die Steuerung nur zwei Joysticks besitzt, können nicht alle Funktionen des Modells zugleich bedient werden; ich muss also die Menue-Ebene wechseln. Nach dem Umschalten liegt auf dem rechten Knüppel das Heben und Senken des Auslegers sowie das Heben und Senken des Löffels, während der linke Knüppel für die Drehung des Oberwagens und das Vor- und Zurück des Löffels zuständig ist. Alles klar!

Nichts ist klar

Doch schon die erste Aktion verunsichert mich: Eigentlich möchte ich den Ausleger senken, doch wo lag jetzt noch mal diese Bewegung? Zaghaft schiebe ich den rechten Knüppel nach links. Das Modell antwortet mit dem Senken der Schaufel. Nee, das war falsch. Zweiter Versuch: Jetzt gelingt es mir zwar, den Ausleger zu senken, doch anschließend muss ich den Löffel über die Zahnstangen nach vorne bewegen und zugleich absenken. Eine durchaus komplexe Bewegung. Was ich fabriziere, ist hingegen das Vorschieben und das Heben des Löffels. So macht er zwar eine schöne Schaufelbewegung, doch die geht leider ins Leere. Als Thorsten, der mir schon längst das „Du“ angeboten hat, die Hebel feinfühlig bediente, sah das doch so einfach aus! Ein ums andere Mal versuche ich mein Glück.
Doch mit der Zeit bekomme ich Übung. Ob ich auch mal den anderen Menck ausprobieren kann? „Klar doch, kein Problem!“ Es ist ein Schleppseilbagger, der insbesondere in Kiesgruben seine Verwendung fand. Nach dem das eben so gut klappte, werde ich bei dem neuen Modell gleich übermütig. Im denkbar ungünstigsten Moment gebe ich zu viel Seil. Die Folge ist Bandsalat.

Wartungsarbeiten

Es hilft alles nix, das Modell muss geöffnet und der Bandsalat geordnet werden. Das gibt mir immerhin Gelegenheit, das Innere des Baggers zu inspizieren. Vorsichtig zieht der begnadete Modellbauer das vordere aufgesteckte Teil des Gittermastes ab und hebelt hernach das Gehäuse ab. Es offenbart sich mir ein überaus dicht gepacktes Arrangement von Elektronikteilen, Zahnrädern und winzigen Motörchen.
Um die Winden zu lösen muss noch das von außen sichtbare Zahnrad der Konstruktion abgezogen werden, es hat früher in einem mechanischen Wecker seinen Dienst getan. Erst jetzt ist die Winde frei und kann von Hand wieder sauber aufgewickelt werden. Während ich zusehe, wie Thorsten geschickt mit Pinzette und Uhrmacherschraubenzieher hantierend wieder in Ordnung bringt, was ich zuvor in Unordnung gebracht habe, fällt mein Blick auf die zahlreichen Modelle, die dieser passionierte Modellbauer schon fertiggestellt hat. „In zwanzig Jahren kommt schon was zusammen“, scherzt er. Regelmäßig auf Messen und Modellbautreffs zu finden und als Co-Autor mittlerweile dreier Bücher ist Thorsten Feuchter unter Seinesgleichen längst kein Unbekannter mehr. So kam er inzwischen auch schon mehrfach zu seltenen Ehren: Er hatte mit anderen Modellbau-Kollegen die Gelegenheit, seine Modelle auf dem ausgedehnten Straßennetz des Miniatur-Wunderlands in Hamburg auszuführen. Das freilich nur nach Feierabend, wenn der übliche umfangreiche Fahrbetrieb ruht.

Motorisierung eine Kaelble-Kippers

Am Anfang steht die Demontage des Standmodells. Von den eigentlichen Fahrwerkskomponenten kann Feuchter nicht viel gebrauchen. Der Fahrwerksrahmen samt lenkbarer Vorderachse Kardanwellen und gefederten Hinterachsen wird in minutiöser Handarbeit aus Messing gefertigt. Die winzigen Elektronikkomponenten müssen verstaut und anschließend mittels haarfeiner Kupferlackdrähte verkabelt werden. Das Kaelbe-Fahrwerk kann alternativ mit anderen Aufbauten versehen werden. Auch bei dem Kranaufbau ist jede Funktion des Originals maßstabsgerecht verwirklicht worden.

Stationen einer Metamorphose

So wird das Standmodell eines Menck 152 im Maßstab 1:87 wird zum Leben erweckt. Erster Schritt ist die Konstruktion eines Bagger-Fahrwerks mit den Kettenrädern, Antriebsmotoren und den Ketten. Als Drehzapfen für den Oberwagen dient ein handelsüblicher Mini-Klinkenstecker. Er dient zudem auch der Weiterleitung des Stroms für die beiden Motoren des Fahrwerks. Beim Aufbau des Oberbaus sind bereits Akku und Elektronik montiert. Rechts im Vordergrund ist ein Teil des Auslegers zu sehen, in dem bereits ein Motor für die Vor- und Zurückbewegung des Löffels platziert wurde.
In der Mitte ist der Getriebemotor für den Drehantrieb zu sehen. Was noch fehlt ist die für das Auf und Ab sowohl des Auslegers als auch des Löffels verantwortliche Winden-Einheit, die als separate abnehmbare Baugruppe konstruiert wurde. Damit sich der Löffel des Miniatur-Baggers wie beim großen Vorbild durch eine Bodenklappe entleeren lässt, musste schließlich im hinteren Teil des Löffels auch noch ein winziger Elektromagnet eingebaut werden. Dazu wird einfach der Strom der winzigen Spule abgeschaltet, die den Löffel im Normalzustand geschlossen hält.


Video:



 

Technische Daten Menck 152

Antrieb: 7 Getriebemotoren
Stromversorgung: 3,6 Volt-Lipo-Zelle
Fahrwerk: Kette m. echten Gliedern
Funktionsumfang: 1. Kettenfahrantrieb 2. Vor-/Zurück des Löffels 3. Heben/Senken des Löffels 4. Heben/Senken d. Auslegers 5. Öffnen des Löffels 6. Schwenken d. Oberwagens
Gewicht: 87 g
Fahrzeit: ca. 60 min
Länge: 137 mm
Breite: 38 mm
Höhe: 85 mm

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