Prinzessin auf dem Lotus

Heruntergekommene Sitze, klappernde Türen und ein quietschendes Fahrwerk: Die holprige Fahrt im „kali-peeli“, dem „scharz-gelben“ Premier Padmini, durch Mumbais Straßen gehört bald der Vergangenheit an

Einen guten Teil seines Arbeitstags verbringt Anil Kumar dösend auf der Rücksitzbank seines Taxis. Morgens und abends zu den Stoßzeiten hat er viel zu tun, doch den Rest des Tages schnappen ihm andere Fahrer mit modernen Taxen die meisten Kunden weg. Die haben Klima und sehen auch nicht so alt aus wie sein Padmini Baujahr 1997. Aber sei's drum, noch kommt er mehr schlecht als recht am Ende des Tages auf seine 1.000 Rupien.

Ein anachronistischer Fremdkörper

Kumars Taxi, ein Premier Padmini fällt hier an der Kreuzung neben all der ebenfalls schwarz-gelb lackierten umgelabelten Einheitskost aus Fernost richtig auf. Doch wer sagt's denn, just in diesem Moment reiht sich noch eine weiterer Vertreter der alten Taxen in die Warteschlange an dem kleinen Taxistand ein: Sein älterer Kollege, der vierzigjährige Bahadur Singh. Er kann sich noch gut an die Zeit erinnern, in der hier, wo die Veer Nariman Road auf den Marine Drive trifft, die pittoreske Prachtstraße der Stadt direkt am Indischen Ozean, gut und gerne fünfzehn bis zwanzig Padminis auf Kundschaft warteten. Doch nun verschwinden die Pads, wie die alten Schätzchen hier liebevoll genannt werden, langsam aber stetig aus dem Stadtbild. Doch die Stadt ist knallhart und hält sich nicht lange mit Verlierern auf. Da macht der Padmini keine Ausnahme. Selbst die Fahrer, die ihre Fahrgäste noch mit dem Pad über die Straßen der Mega-City kutschen, verbinden mit den alten Taxen eher praktische Überlegungen statt in romantische Anwandlungen zu verfallen.
Und dabei gibt es sehr wohl ein Für und ein Wider: Denn ohne Frage verkraften die seit 1964 nahezu unverändert gebauten Oldies den knochenharten Einsatz von nicht selten 12 bis 14 Stunden auf Mumbais üblen Straßen viel eher als die moderne Konkurrenz. Und dank seines geräumigen Kofferraums und des standardmäßigen Dachgepäckträgers dient der Padmini beileibe nicht nur dem Personentransport. Denn in ihm findet auch, wer von außerhalb kommend Käfige voller hektisch gackernder Hühner, dicke Pakete mit T-Shirts und Tüchern oder etwa Obst und Gemüse an einem der vielversprechenden Plätze an der Straße feilbieten will, auf den letzten Metern zum Point of Sale seinen Weg.
Doch die überwiegende Zahl der Heerschar von Pendlern, die vom Bahnhof zur Arbeit regelmäßig das Taxi nehmen, wollen lieber mit den neuen Wagen fahren. Sie haben bessere Sitze und sie gelten vor allem als sicherer. Ob das stimmt? Kumar ist sich da nicht so sicher. Schließlich bietet der Padmini mit seinem langen Motor-Vorbau und dem vergleichsweise ausladenden Heck doch viel mehr Knautschzone, gibt er sich überzeugt. Einen Grund an Kumars Worten zu zweifeln gibt es nicht. Denn vielen der betagten Taxen kann man in der Vergangenheit erlittene Blessuren noch immer ansehen. Verformtes Blech wird zwar wieder gerade gedengelt, doch Spachteln wird hier als unnötiger Luxus erachtet. So sieht zum Beispiel ein Kotflügel bisweilen so aus wie ein frisch lackierter Streuselkuchen. Das ist ohnehin einer der großen Vorteile des Veteranen: Die einfache Technik ohne Elektronik ist leicht zu reparieren. Praktisch alles können die Fahrer in einigen Stunden selbst reparieren. Oder, wenn's einmal nötig sein sollte, auch mit tatkräftiger Mithilfe eines Kollegen. Eine Hand wäscht die andere.
Gebrauchte Ersatzteile zumindest gibt bei den zahllosen Verwertern die sich einer neben dem anderen entlang der einschlägigen Straßen in den Stadtteilen Kurla oder Sion reihen, in Hülle und Fülle. Inwieweit sie noch ihre Funktion erfüllen, ist indessen nicht immer klar. Genau deswegen verbannt ein Erlass der Stadtverwaltung aus dem Jahr 2013 sämtliche Fahrzeuge mit einem Alter von mehr 20 Jahren von den Straßen der Mega-City. Da erübrigt sich, das dürfte der Gedanke dahinter sein, der TÜV. Denn der würde hier ohnehin nicht funktionieren.

Fahrkomfort von anno dazumal

Und wie fährt es sich so im Premier? Nun, das erste was in Mumbai vor der Benutzung eines Taxis gleich welcher Art ansteht, ist die Verhandlung eines Preises. Zwar sind alle Taxen mit einem staatlich geeichten Taxameter ausgestattet, doch bei kurzen Touren lohnt es sich für die Fahrer vielfach nicht, einen guten Platz zu verlassen. Dann drängen sie auf auf einen Festpreis. Während der Rushhour indessen kann es sich auch für den Fahrgast lohnen, den Taxameter außen vor zu lassen. Vorausgesetzt, man kennt die Preise. Gut! Als es endlich losgehen kann und man auf der vorderen Sitzbank neben dem Fahrer Platz genommen hat, stellt man fest, das man den Kopf einziehen muss. Für Inder ist das zwar kein Thema, aber für lang gewachsene Europäer sieht das schon anders aus. Auch in der Breite fällt der Wagen eher schmal aus. Doch zum Glück ist man nicht wie als Fahrgast in den modernen Taxen ständig genötigt, die Beine verschämt zusammenzukneifen. Denn mit der Gangschaltung kommt man im Pad selbst mit langen Gräten nicht ins Gehege. Die sitzt nämlich am Lenkrad.
Kaum dass die Tür klappernd ins Schloß gefallen ist, legt Kumar den ersten Gang ein. Ein Ruck geht durch das Auto. Mit kaum überhörbarer Geräuschkulisse setzt sich der Wagen zügig in Bewegung. Doch die Fahrt endet gleich an der nächsten Kreuzung. Die Fahrzeuge, die von Shree Patan Jain Mandal Marg auf den Marine Drive wollen, haben freie Fahrt. Vor ihrer Einmündung drängen sich auf der zweispurigen Straße die Fahrer in mindestens vier Reihen um den besten Startplatz. Zwei Fahrern gelingt es durch sich auftuende Lücken im Fluß hindurchzuschlüpfen. Kumar versucht das mit seinem Padmini lieber nicht. Die Beschleunigung reicht nicht. Dann wird es endlich wieder Grün. Nicht alle Fahrzeuge von der einmündenden Straße konnten sich bis jetzt in den Marine Drive einfädeln. Doch erbarmungslos schieben nun die eben noch wartenden Fahrzeuge nach. Auch Kumar setzt mit seinem Padmini nach. Doch schon versucht ein von rechts heranpreschender Motorradfahrer die sich gerade auftuende Lücke zu besetzen. Doch der Fahrer am Steuer des Pads lässt sich davon nicht beirrend und hält weiter auf die Lücke zu. Im letzten Moment bekommt der Motorradfahrer weiche Knie und gibt wenige Zentimeter vor der drohenden Karambolage nach. Augenmaß ist hier alles!
Weiter geht's auf eine Straße zu, auf der gerade gebaut wird. Um einen möglichst guten Platz beim nächsten Ampelstop in Sichtweite zu ergattern, scheucht Kumar den Wagen auch über üble Schlaglöcher und über ein Stück Schotterpiste hinweg. Die alte Blattfederung knarzt dabei in allen Tonlagen wird aber schnell vom Klappern der Tür rechts hinten übertönt. Die Ampel springt auf Rot um. „Müsste er jetzt nicht eigentlich bremsen?“ Keineswegs! Zwar drängen jetzt von links zahlreiche Fahrzeuge auf die Fahrbahn, doch es reicht, sich geschickt an ihnen vorbei zu mogeln. Wer zaudert, hat verloren. Endlich kommt ein Stück freier Strecke. Im vierten Gang gibt's jetzt endlich mal die Gelegenheit, den Veteran während der Fahrt zu erleben. Das Teil macht nun richtig Speed. Mit locker 60 bis 70 Sachen ballert der Fahrer über die Betonpiste. Das ist freilich nur ein geschätzter Wert, denn ein Blick auf den Tacho bringt Nichts: Die Anzeige steht auf Null. Praktisch alle Fahrer haben ihren Tacho abgeklemmt. Denn dann kann man sich leichter herausreden, wenn man bei einer Geschwindigkeitskontrolle erwischt wird. Klares Kalkül dabei: Ein Verkehrspolizist, der sich zu lange mit der Ahndung einer Geschwindigkeitsüberschreitung aufhält, riskiert dabei weitaus üblere Dinge mit möglicherweise weitaus schlimmeren Folgen aus den Augen zu verlieren.
So geht es weiter während der ganzen Fahrt nach Mumbai Central: An den Stau heranfahren, sich möglichst weit nach vorne mogeln, dann ein Stück weit fahren bis der nächste Stau in Sicht kommt. Und das tut er mit Sicherheit schneller als erwartet. Das alles wird begleitet von einem unglaublichen Hupkonzert. Die Fahrer beweisen dabei ein unglaubliches Augenmaß und ein extrem waches Auge. Taxi-Fahrer aus Bombay, das Gerücht hält sich hier hartnäckig, könnten diesen Job überall in der Welt machen.

Back to the roots

Doch zurück zum Padmini: Begonnen hat die Geschichte des Oldies als Premier Präsident, dessen Lizenzproduktion im Jahr 1964 im Premier-Werk in Bombay aufgenommen wurde. Zugrunde liegendes Modell des Präsident war der Fiat 1100 Delight, eine abgespeckte Version des Fiat 1200. Im Gegensatz zum 1.221 ccm-Motor seines Ahnherren bekam der President aber lediglich einen 47 PS/35 kW starken Vierzylinder mit 1.089 ccm Hubraum auf den Weg, der über ein im ersten Gang synchronisiertes Schaltgetriebe auf die Hinterachse wirkte.

Doch für indische Verhältnisse war das Auto damals ein unerhörter Luxus, was sich schon im gewählten Namen klar widerspiegelt. Freilich sollte er den Wagen auch gegen den damals einzigen indischen Konkurrenten absetzen helfen, der schon sechs Jahre früher als Hindustan Ambassador mit Hilfe des britischen Automobilproduzenten Morris begonnen hatte, Indiens Straßen zu erobern. 1972 dann beschlossen die Verantwortlichen, den President künftig als Padmini zu vermarkten, dem Namen einer Rajput Prinzessin aus dem 14. Jahrhundert. Padmini? Das bedeutet so viel wie: „die auf dem Lotus sitzt“. Abgesehen von der Namensänderung blieb aber alles beim Alten. Warum auch nicht? Der Wagen verkaufte sich wie geschnittenes Brot und die staatlich gedrosselte Produktion kam hinter dem Ansturm auf das Auto kaum hinterher. Ende der Siebziger lag der Anteil der Padminis an der Taxiflotte von Bombay mit 38.000 Fahrzeugen bei 99 %.
Während dieser Blütezeit erreichte der Wagen auch bei Privatleuten eine enorme Popularität. Mit dem Aufkommen eines deutlich moderneren Fahrzeugs, dem Maruti Suzuki, begann dann aber der Stern des Premier zu sinken. Wenn auch nur sehr langsam. Zunächst sah sich das Management bei Premier zu ersten moderaten Korrekturen genötigt. Hatte man abgesehen von dem Wegfall des vorderen Austellfensters in den Türen den Wagen bis dahin nahezu unverändert weiter gebaut, wurde der Padmini 1982 einer Grundrenovierung unterzogen. Er bekam einen moderneren Grill mit Lüfter und ein neues Armaturenbrett. Und um dem Motor das Saufen abzugewöhnen, wurde die Motorleistung durch eine Herabsetzung der Kompression auf 42 PS/ 31 kW reduziert.
Erst die Liberalisierung der indischen Wirtschaft 1991 mit vielen neuen auf den Markt drängenden Marken besiegelte letztlich das Schicksal der Prinzessin. Gegen die modernen Fahrzeuge konnte sich das über 30 Jahre alte Fahrzeugkonzept trotz seines Preisvorteils letztlich nicht mehr behaupten. Ein weiteres Mal stemmte sich der alteingesessene Autobauer gegen den Lauf der Zeit: Ab 1992 lief neben dem alten Modell auch der den Padmini S1 mit Einzelsitzen vorne und einer Klima-Anlage vom Band, außerdem gab es mit dem 137D erstmals einen von Fratelli Negri entwickelten Diesel mit 1,366ccm Hubraum und einer Leistungsausbeute von 45PS/34kW. Doch der Vorteil des deutlich geringeren Verbrauchs wurde durch der enorme Preisunterschied im Vergleich zur ansonsten identischen Benzinversion konterkariert. Unter den knapp viertausend Padminis, die zu Beginn des Jahres 2016 auf den Straßen der inzwischen ebenfalls umbenannten Stadt Mumbai noch unterwegs waren, fand sich kein einziges dieser Modelle. Die Einsparungen beim Verbrauch wurden durch den nahezu vollständigen Umbau aller Taxen auf CNG-Betrieb realisiert. Außerdem wird bei längeren Ampelstopps, bei denen ein Anhalten nicht zu vermeiden ist, gerne schon mal den Motor ausgeschaltet.

Das Ende

1996 schließlich gab es in dem seit der Produktionsaufnahme des Pads nie modernisierten Werk in Kurla einen verheerenden Streik. Von Juni bis November stand die Produktion völlig still. Das brachte den Hersteller finanziell ins Schlingern. Das Management sah am Ende die einzige Rettung im Verkauf eines Großteils der eigenen Anteile an einem wiederum mit Fiat eingegangenen Joint Ventures an den Mutterkonzern in Italien. Die Italiener versuchten nach Ende des Streiks die Produktion in eigener Regie wieder anzufahren. Doch Fiat bekam die Probleme in dem völlig veralteten Werk nicht in den Griff. Im Jahr 2000 wurde die Produktion des Padmini endgültig eingestellt und kurz darauf auch die Fabrik im Nord-Osten der riesigen Stadt endgültig geschlossen. Auf dem ehemaligen Werksgelände erhebt sich mittlerweile eine für indische Verhältnisse recht moderne Wohnsiedlung. Für die wenigen zwischen 1997 und 2000 noch produzierten Pads tickt inzwischen unerbittlich die Zeit: 2020 werden auch die letzten noch verbliebenen Prinzessinen endgültig aufs Altenteil geschickt.


Technische DatenPremier Padmini (Fiat 1100)

Baujahr: 1964-2000
Hubraum: 1.089 ccm
Getriebe: 4-Gang-Schalter
Leistung: 31 kW/42 PS (35 kW/47 PS)
Drehmoment: 71 Nm (3.000 1/min)
Höchstgeschwindigkeit: 130 km/h;
Beschleunigung: k.A.
Gewicht: 895 kg
Maße (LxBxH): 3.940 x 1.460 x 1.470 mm
Radstand: 2.340 mm

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