Jagdflieger

Ein Adler tötet seine Beute mit seinen Fängen. Die Krallen des Greifvogels erweisen sich dabei als ultimative mit ungeheurer Gewalt zupackende Waffe. Fast so, wie der Greifer eines Umschlagbaggers auf einem Schrottplatz, der mühelos die Karossen ausgedienter Autos zerquetscht. Doch ist die Technik – gleiche Voraussetzungen unterstellt – der Natur wirklich so überlegen? Ein Tiervergleich
Adler werden bewundert wegen ihrer majestätischen Erscheinung, Ihrer akrobatischen Flugkünste, wegen ihres Mutes und ihrer enormen Kräfte. Kein Wunder also, das der König der Lüfte seit alters her auf Wappen von Fürsten und Königen, stolzen Städten und großen Nationen prangt. Ob im Plenarsaal des alten Bundestages in Bonn oder im Berliner Reichstag; ob Reichsmark, D-Mark oder Euro – auch wir Deutschen spannen den größten heimischen Greifvogel mächtig ein; Unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel übernahm vor einigen Jahren sogar die Patenschaft für ein Steinadlerpaar im Zoo von Stralsund.
Dabei ist der für Deutschland eher typische Steinadler ebenso wie sein amerikanisches Pendant, der Weißkopfseeadler in erster Linie vor allem Eines: Ein Raubtier. Und die Jagd dieser überaus stattlichen Vögel, die Flügelspannweiten von mehr als zwei Meter erreichen können, spielt sich nach einem standardisierten Schema ab. In luftiger Höhe weit oben am Himmel seine Bahnen ziehend, hält das Tier Ausschau nach Beute. Zeigt sich ein unvorsichtiger Hase, ein Murmeltier oder Eichhörnchen, stößt der Jäger mit seinen Fängen voraus bis zu 150 Kilometer schnell in die Tiefe und schlägt, sollte sich sein potentielles Opfer bis dahin nicht wieder verzogen haben, seine Krallen tief in das Fleisch des Tieres.

Ungeahnte Kräfte

Beeindruckte der Räuber bislang eher mit seinen überaus scharfen Augen und atemberaubenden Flugkünsten, zeigt er in diesem Moment, welche enormen Kräfte in ihm stecken. Die mächtigen Fänge packen mit unvorstellbarer Gewalt zu. Tief bohren sich die beängstigend langen und überaus spitzen Krallen in den Körper des Opfers, durchstoßen Herz und Lunge, brechen die Wirbelsäule und stoßen – man glaubt es kaum – selbst durch die Schädelknochen von Gämsen. Nichts scheint vor den Jägern sicher, selbst Tiere nicht, die bedeutend größer und schwerer sind. So erlegen die rund 200 in Deutschland lebenden Steinadler bisweilen sogar Rehe oder Füchse! Wer nun glaubt, dass dabei die Adleraugen größer gewesen seien als der Magen, sieht sich getäuscht: Selbst Beutetiere, deren Gewicht dasjenige des eigenen Körpergewichts erreicht, vermag das Tier noch zum eigenen Horst zu transportieren. Was größer ist, muss freilich erst zerteilt werden.
Adler sind also wahre Kraftpakete und verfügen über mehr „Power“, als man in einem Körper dieser Größe vermuten würde. Doch wie stark sind die Adlerfänge nun wirklich? Nun steht die Ermittlung dieser Größe sicher nicht im Zentrum dessen, was jemand, der sich mit diesen gefiederten Jägern beschäftigt, wissen will. Entsprechend dünn gesät sind verifizierbare Untersuchungsergebnisse, die hierüber Auskunft geben könnten. Indes taucht ein Wert bei diversen durchaus seriösen Quellen immer wieder auf.

Ein Griff, der tötet

Demnach stößt ein Steinadler seine Fängen mit einer Kraft von bis zu 70 Kilo pro Quadratzentimeter in den Körper seines Opfers. Ein Wert, der zunächst nicht viel sagt, bis er in Bezug gesetzt wird zu einer Größe, die uns vertraut ist: Ein ausgewachsener Mann entwickelt bei einem kräftigen Händedruck eine Kraft von lediglich 20 Kilo pro Quadratzentimeter. Der Vergleich hinkt keineswegs, erreichen die Fänge ausgewachsener Adlerweibchen, die, wie bei Greifvögeln üblich, immer etwas größer als ihre männlichen Kollegen sind, fast die Größe von Männerhänden. Gegenüber den leichtgewichtigen Adler-Damen, die beim Steinadler ein Gewicht von bis zu sieben, bei den für unseren Vergleich herangezogenen traumhaft schönen Weißkopfseeadlern bis zu sechs Kilogramm erreichen, erweisen wir Männer uns da als echte Schlappschwänze. Okay, am Ende sind unsere Hände immer noch ein wenig größer, insofern sind wir da physikalisch marginal benachteiligt.
Denn klar: Je länger die Finger respektive die Zehen eines Vogels, je größer demnach die Griffweite, desto kleiner die möglichen Druckkräfte (Hebel!). Stein- und Weißkopfseeadler haben gemessen an ihrer Körpergröße eine geringe Griffweite, dafür extrem dicke Zehen. Sie weisen damit die klassischen Fänge eines Säugetierjägers auf. Vogeljäger wie Habicht, Sperber oder Baum- und Wanderfalke haben lange Zehen. Für die maximale Druckentwicklung ist es zudem wichtig, dass die Krallen eine optimale Form haben. Die Krallen des Weißkopfseeadlers haben eine sehr starke Krümmung, die mit der Kürze der Zehen korrespondiert.

Die rückwärtige Kralle der Fänge birgt Bärenkräfte

Doch die Kräfte sind nicht gleich verteilt. Beim Schlagen der Beute dienen nämlich in der Regel die vorderen Zehen vor allem dazu, das Opfer festzuhalten, während die sich die besonders kräftigen hinteren Greifkrallen (die Entwicklungsgeschichtlich dem ebenfalls sehr viel kräftigeren menschlichen Daumen entsprechen) in den Körper des Tieres bohren. Insofern kommt der hinteren meist weniger beachteten Kralle die größte Bedeutung zu. Erreichen diese schon bei „Zeus“, dem Adler-Männchen im Wildpark Schwarze Berge, dem wir für diesen Beitrag genauestens auf die Fänge geguckt haben, eine respekteinflößende Länge von drei bis vier Zentimetern, kommen sie bei dem größten und kräftigsten Greifvogel der Erde, der in Südamerika beheimateten Harpyie, auf eine beängstigende Länge von rund sieben Zentimetern!

Der Vergleich zum Schrottgreifer

Können derartige Kraftmeier aus dem Tierreich wirklich mithalten mit einer Maschine, die ebenfalls dafür bekannt ist, alles zu Brei zu zerquetschen, was ihr in die Klauen gerät? Vielleicht haben Sie ja schon einmal ein Auto zum Verschrotten gebracht, und dabei zugesehen, wie der Wagen, der Ihnen jahrelang treue Dienste geleistet hat, von einem Schrottgreifer gepackt wurde, der die Fahrerkabine mühelos auf ein Bruchteil ihres ursprünglichen Rauminhaltes komprimierte und dann ihre geliebten Wagen auf des Dach eines zuvor zerquetschen Fahrzeugs stapelte?
Ein solches Gerät ist etwa der Mehrschalengreifer GM70 C aus dem Hause Liebherr; standardmäßig mit dem A 934 C ERC, einem mobilen Umschlagbagger mit einem Einsatzgewicht von rund 38 Tonnen gekoppelt. Allein der Greifer, der über fünf halbgeschlossene Schalen mit 1,1 Kubikmeter Volumen und 2.290 Millimeter Griffweite verfügt, bringt es auf ein Gewicht von 1.860 Kilogramm.

Chancengleichheit im Ring

Dank der Motorleistung von 129 Kilowatt/175 PS erzeugen die beiden Hyraulikpumpen des Baggers einen Hydraulikdruck von 350 Bar. Genug Energie, um kurz vor dem völligen Schließen der fünf Schalen eine Schließkraft von rund acht Tonnen zu realisieren. Wie soll da ein Adler mithalten? Doch wie bei jedem zünftigen Boxkampf gilt es auch in diesem Fall, für Chancengleichheit im Ring zu sorgen. Schließlich wäre auch niemand auf die Idee gekommen, ein Fliegengewicht wie Regina Halmich gegen einen Hünen wie Wladimir Klitschko antreten zu lassen. Im Falle unserer Paarung gilt es also, den Taschenrechner zu zücken.
Während unser Fotomodel namens Zeus gerade einmal vier Kilo auf die Waage bringt, kann für ein ausgewachsenens kräftiges Weißkopfadler-Weibchen schon ein Gewicht von ungefähr sechs Kilo veranschlagt werden. Ein 38-Tonnen-Bagger ist demnach 6.333 Mal schwerer als die Adler-Dame. Ergo wäre die Schließkraft des Greifers, der seine Stärke ja komplett der Motorleistung des Baggers verdankt um genau diesen Faktor zu teilen, also 8.000 Kilogramm geteilt durch den Faktor 6.333. Somit käme der auf das Adler-Gewicht geschrumpfte Bagger und sein Anbaugreifer auf eine Schließkraft von gerade einmal 1,26 Kilogramm pro Quadratzentimeter. Wer hätte das gedacht?

Der Schrottgreifer ist chancenlos

Dieses riesige Gerät schneidet im Vergleich zu den Fängen des Adlers geradezu kläglich ab, denn der erreicht, wie bereits eingangs erwähnt, einen stattlichen Wert von 70 Kilo pro Quadratzentimeter. Selbst wir Menschen brauchen den Vergleich mit dem Bagger – im Gegensatz zum Vergleich mit dem Adler – nicht zu scheuen.
Nach eben vorexerzierter Berechnung läge ein Mann mit 90 Kilo Kampfgewicht mit einer Greifkraft von 20 Kilogramm pro Quadratzentimeter in etwa gleichauf mit dem auf Menschengröße geschrumpften Bagger, der so eine Schließkraft von etwa 19 Kilogramm pro Quadratzentimeter erreichen würde.

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