Eine Karawane aus Stahl

Zwei gewaltige Lokomotiven mit über 8.000 PS, gefolgt von einer schier endlosen Kette mit Schwefelgranulat beladener Schüttgutwaggons – das ist eine Szenerie, die sich nicht etwa in Australien abspielt, wo derartige Monsterzüge an der Tagesordnung sind, sondern quasi vor unserer Haustüre in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Menschen aus aller Herren Länder bewerkstelligen hier bei zumeist mörderischer Hitze den jährlichen Transport von 7 Millionen Tonnen des als Nebenprodukt bei der Gasförderung anfallenden Rohstoffs

Regelmäßig bebt seit etwas mehr als einem Jahr in Abu Dhabi die Wüste. Dann nämlich, wenn, wie eine Fata Morgana quasi aus dem Nichts kommend, einer der schier endlosen Güterzüge der Etihad Rail hier vorbeidonnert. Drei gewaltige Loks haben eine beinahe zwei Kilometer lange Fracht am Haken, jeder Wagen mehr als hundert Tonnen schwer. Doch was zunächst an Tausendundeine Nacht gemahnt, ist jedoch höchst real.

Die Vereinigten Arabischen Emirate sind im Begriff, sich ein Bahnnetz zuzulegen. Von Ruwais kommend beschreibt der Schienenstrang, nachdem er über Mirfa und Tarif in einigem Abstand der Küstenlinie folgte, kurz danach einen großzügigen Bogen und arbeitet sich anschließend wie eine mit dem Lineal durch den Wüstensand gezogene Gerade über Madinat Zayed und Mezaira‘a Liwa deutlich mehr als 100 Kilometer weit ins Landesinnere vor. Denn in Shah, dem einstweiligen Endpunkt der Strecke, liegt eine der größten Erdgasförderanlagen der Abu Dhabi Gas Industries Limited (GASCO), einer Tochter der staatlichen Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC).

Sie ist Hauptkunde der Etihad Rail, einer ebenfalls staatseigenen Bahngesellschaft, deren Wagenpark daher bislang auch komplett auf ein einziges Transportgut ausgerichtet ist: das als Nebenprodukt bei der Erdgasförderung anfallende Schwefelgranulat. Bereits im ersten Jahr hat Etihad Rail ein Transportaufkommen von ca. 7 Mio. Tonnen des körnigen Materials bewältigt, das zum größten Teil zur Herstellung von Schwefelsäure dient, die wiederum in der Hauptsache zu Düngemitteln verarbeitet wird, aber auch bei Vulkanisation von Kautschuk und als Legierungselement in der Stahlindustrie eine bedeutende Rolle spielt.

Gleisbau bei mörderischer Hitze

Für den Bau der Strecke zeichnete ein aus den eher für den Anlagenbau für die petrochemische Industrie bekannten italienischen Firmen Saipem und Tecnimont sowie der in Dubai beheimateten Dodsal Engineering and Construction gebildetes Konsortium verantwortlich, das den ebenfalls aus Italien stammenden Gleisbauspezialisten Salcef Group als Subunternehmer verpflichtete. Eine zentrale Rolle bei den Bauarbeiten spielte das in Mirfa eingerichtete Depot der Etihda Rail. Hier wurde eine Produktionsanlage für die Herstellung der benötigten Betonschwellen errichtet, und hier verschweißte man auch die aus Übersee stammenden Schienenprofile auf Längen, die den anschließenden Verbau deutlich vereinfachen. Anders als hierzulande, wo Neubaustrecken überwiegend mittels vorgefertigter Gleisjoche erstellt werden, wurden beim Bau der Strecke in den Vereinigten Arabischen Emiraten nämlich zunächst die Betonschwellen maschinell auf dem zuvor planierten Schotterbett verteilt und anschließend die Gleisprofile mittels Spezialfahrzeugen darüber ausgelegt.

Eine nicht gerade leicht zu bewältigende Herausforderung stellte bei den hier im Sommer vorherrschenden Temperaturen von bis zu 50 0C indessen das Dehnungsverhalten der Gleise dar. So war es erforderlich, in definierten Abständen die durchgehend nahtlos verschweißten Profile nochmals zu trennen, um entstehende Spannungen zu beseitigen. Spezielle Stopfmaschinen sorgten abschließend für eine zuverlässige Verdichtung der nach Fertigstellung des eigentlichen Gleises ausgebrachten zweiten Lage von Schotter in den Schwellenzwischenräumen. Auf der 264 Kilometer langen Strecke waren zudem 18 Brückenbauwerke zur Überquerung der Bahn oder zur Überwindung von Hindernissen erforderlich.

Die Strecke Shah-Ruwais ist allerdings nur ein Teilstück eines viel größeren, T-förmig geplanten Bahnnetzes. Sein durchweg zweigleisiger, parallel zur Küstenlinie des Persischen Golfes verlaufender Hauptast soll nach seiner Vollendung einmal in nordöstlicher Richtung über Abu Dhabi City, Dubai und Sharjah bis nach Ras al-Khaimah reichen und in westlicher Richtung über Ruwais hinaus bis nach Ghweifat verlängert werden. Der sich nach Süden erstreckende Streckenteil soll später von Shah in Richtung Saudi-Arabien fortgesetzt werden, das ebenfalls gerade am Aufbau eines Bahnnetzes arbeitet.

Die Bahn als Motor fürs Wirtschaftswachstum

Der fertiggestellte und seit Anfang 2016 von den Monsterzügen befahrene Streckenteil stellt insofern nur einen ersten Bauabschnitt dar, dem der ursprünglichen Planung gemäß noch zwei weitere Abschnitte folgen werden. Schritt zwei soll die der Küstenlinie folgende Hauptstrecke um zusätzliche 628 Kilometer wachsen lassen, während dem dritten Bauabschnitt mit weiteren 279Kilometern die Anbindung der nördlich gelegenen Emirate und die Verlängerung an die saudische Grenze zugedacht ist. In diesem Ausbaustadium würde sich die Bahnlinie über eine Gesamtlänge von 1.200 Kilometern erstrecken und einen maßgeblichen Teil des Verkehrsplans des Golf-Kooperationsrates (Gulf Cooperation Council, GCC) verwirklichen, der vorsieht, alle sieben Vereinigten Arabischen Emirate miteinander zu verbinden. Am 26. Januar letzten Jahres jedoch hat Etihad Rail die Ausschreibung für den zweiten Bauabschnitt ausgesetzt. Entgegen der von offizieller Seite angegebenen Begründung zusätzlichen Planungsbedarfs vermuten Insider jedoch viel mehr eine infolge des niedrigen Ölpreises ins Wanken geratene Finanzierung als wahren Grund der Verzögerung.

Das wäre fatal, denn die Bahn könnte sich als machtvoller Katalysator für ein weiteres Wirtschaftswachstum in der Region erweisen. Etihad Rail hat inzwischen mehr als 20 Rahmenvereinbarungen über eine künftige Zusammenarbeit abgeschlossen. Mit dabei sind selbstverständlich die petrochemische Industrie, gefolgt von Globe Express Services (GES), einem der wichtigsten Logistikunternehmen der Region, sowie Arkan und Emirates Steel, die unter anderem dem Anlagenbau zuzurechnen sind, der Müllverarbeitung und der nicht ganz unbedeutenden Nahrungsmittelindustrie. Die Al Dahra Agriculture Company etwa plant, nach Betriebsaufnahme der zweiten Ausbauphase der Bahn den Heutransport für die Viehwirtschaft auf die Schiene zu verlagern. Die verarbeitende Industrie in den Emiraten hat sich angesichts des absehbaren Endes der Erdölförderung in den letzten Jahren gut entwickelt und beispielsweise 2013 mit einem Wachstum von 18 Prozent einen Anteil von 13,5 Prozent am Bruttosozialprodukt erreicht. So hat man bereits bei der Planung der Bahn auch den Transport anderer Massengüter, den Containertransport sowie auch den Personenverkehr, im Auge gehabt und die gesamte Infrastruktur der bereits existierenden Strecke etwa auf ein mögliches Befahren mit Doppelstock-Containerzügen ausgerichtet.

Einstweilen besteht die Ladung der auf der 264 Kilometer langen Strecke von Shah nach Ruwais eingesetzten Züge jedoch ausschließlich aus Schwefelgranulat. Für seinen Transport hat Etihad Rail bei der China South Rolling Stock Corporation (CSR) insgesamt 240 Schüttgutwagen mit Schwenkdeckel geordert, deren erste Charge bereits Ende Dezember 2012 geliefert wurde.

Bühne frei für die stärksten Dieselloks der Welt!

Um die 1,8 Kilometer langen Schwefelzüge ins Schlepptau zu nehmen, stehen zudem insgesamt sieben der mit Schienenräumern und weiteren Einrichtungen für den Wüsteneinsatz optimierten Baureihe SD70ACS des amerikanischen Herstellers Electro-Motive Diesel (EMD) zur Verfügung. Diese mit einer Leistung von 4.300 PS derzeit wohl stärksten dieselelektrischen Lokomotiven der Welt bringen ein Gewicht von jeweils 192 Tonnen auf die Waage und verfügen über eine atemberaubende Anfahrzugkraft von wahnwitzigen 850 Kilonewton. Zu dritt schaffen es diese fast 23 Meter langen Giganten spielend, die aus 110 Güterwagen bestehenden und rund 15.000 Tonen schweren Züge auf 120 Kilometer in der Stunde zu beschleunigen.
Zwei mal täglich donnert ein solches Ungetüm mit seiner giftgelben Ladung von Shah aus dem Hafen von Ruwais entgegen – und leer wieder zurück. Jeder Zug erschlägt dabei die Fracht von etwa 300 Lkw-Fahrten. Insgesamt erübrigt die Bahn damit etwa66.000 Lkw-Fahrten pro Jahr, und hilft, die für dieses Transportaufkommen notwendigen CO2-Emissionen um 70 - 80 Prozent zu reduzieren. Verantwortlich für den Zugverkehr ist neben der staatlichen Bahngesellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate ein alter Bekannter: die Deutsche Bahn – in diesem Fall in Gestalt von DB Schenker Rail. Beide Unternehmen betreiben seit Juni 2014 das Gemeinschaftsunternehmen Etihad Rail DB Operations.

Ungewohnt für die Deutschen Bahnspezialisten sind indessen die hier herrschenden, sehr speziellen Betriebsbedingungen. Neben der brütenden Hitze, die in Küstennähe sehr wohl auch mit einer enormen Luftfeuchtigkeit einhergeht, sind vor allem die kontinuierlichen Sandverwehungen entlang der Strecke eine nicht zu unterschätzende Gefahr für den Zugbetrieb. In regelmäßigen Abständen muss die Strecke daher von dem eigens für diesen Zweck erworbenen Sandräumer SRM 500 des deutschen Herstellers für Gleisbaumaschinen Plasser und Theurer abgefahren und von Sand befreit werden.

Der gleichen Ursache zuzuordnen ist auch das hier verwirklichte System der Signalisierung und Zugbeeinflussung. Da die Sicht auf die Strecke für ein reguläres Anhalten der bei einem Bremsmanöver erst nach mehreren zurückgelegten Kilometern zum Stillstand kommenden Mega-Züge oftmals nicht ausreicht, hat man hier auf klassische Signale verzichtet und die entsprechenden Signalanlagen in den selbstverständlich klimatisierten Lokführerstand verlegt.

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