Bluie East 2 und die verlorene Schwadron

Am abgelegenen Ikateq Fjord an der Ostküste Grönlands zeugen rostige Trucks und Maschinen auf dem Gelände des ehemaligen Militär-Stützpunkts Bluie East 2 von einer bewegten Vergangenheit
April 1941 übernahmen die Vereinigten Staaten die Verantwortung für den Schutz der Küste Grönlands. Damit bestand auch die Notwendigkeit der Einrichtung von Operationsbasen für die Luftwaffe. So begann die Army mit Luft-Erkundung der Küstenregionen auf der Suche nach geeigneten Arealen. Von Seiten der Air Force bestand die Forderung nach einem flachen Gelände, das es gestattete, eine 5.000 Fuß lange Start- und Landebahn anzulegen und zudem freie Einflugschneisen aufwies. Doch auch nach mehreren Erkundungsflügen konnte kein passender Ort gefunden werden.
So brach im September eine elf Mann starke Expedition unter dem Kommando von Antarktis-Veteran Lt. (j.g.) Frederick E. Crockett mit dem Auftrag auf, in der Nähe von Angmagssalik, der einzigen Siedlung an der Ostküste, zumindest einen Platz für eine Funk- und Wetterstation – wenn irgend möglich aber auch für die Anlage eines Flugplatzes – zu erkunden. An Bord der erst kurz zuvor von der Coast Guard requirierten CGCNorth Star, die vorsorglich bereits die Geräte der Wetterstation geladen hatte, erreichte der Expeditionstrupp am 2. November 1941 den Ort und begann dann mit Hundeschlitten die Umgebung zu erkunden. Ende des Monats entdeckte Crockett 57 Kilometer von Angmagssalik entfernt nahe der Eskimosiedlung Ikateq ein Geröllfeld am Fuße eines Gletschers, dicht umstanden von hohen Bergen.

F.E. Crockett entdeckt den Ikatq-Fjord als Standort für eine Airforce-Basis

Auf Basis des von Crockett nach seiner Rückkehr abgesetzten ausführlichen Berichts reifte bei der Air Force schließlich der Entschluss, dort zunächst eine 4.000 Fuß lange Schotterpiste anzulegen. Denn auch wegen seiner nicht idealen Bedingungen kam der Einrichtung des Stützpunktes aufgrund der aktuellen Entwicklungen des Kriegsverlaufs nunmehr eine gesteigerte Priorität zu. So waren Amerika und Großbritannien inzwischen in die Planung zur Operation Bolero eingestiegen, die unter anderem eine umfassende Aufstockung insbesondere des Bestands an Jagdflugzeugen und Bombern auf der Insel vorsah, um eine Landung im besetzten Europa zu unterstützen.

Geburtsstunde einer gewagten Operation

Die Sache hatte nur einen Haken: Zu viele der per Schiff nach Europa verlegten Maschinen wurden ein Raub der in dieser Region ausgesprochen erfolgreich operierenden deutschen U-Boot-Flotte. So erarbeitete die Air Force unter der Leitung von Generalmajor Henry „Hap“ Arnold einen verwegenen Plan: Bomber und Jagdflugzeuge über Zwischenstopps in Labrador, Grönland und Island auf dem Luftweg nach Großbritannien zu verlegen. Das erforderte einen zügigen Ausbau der Flugplätze auf Grönland. In den harten Wintermonaten war jedoch an eine Aufnahme der Bauarbeiten in Ikateq nicht zu denken.
Erst weit im nächsten Jahr würden kleinere Schiffen die Küstenregion wieder befahren können. Schließlich dauerte es bis zum Juli des nächsten Jahres, bis ein von der USAT Dorchester geführter Schiffs-Konvoi den Ikateq Fjord erreichte. Dort trafen die Schiffe auf die USCGCComanche der amerikanischen Küstenwache, die in geheimer Mission eiligst an die Ostküste verlegt worden war. Der Grund war eine beunruhigende Meldung: Schon vor zehn Tagen war eine Schwadron von zwei Langstreckenbombern Boeing B-17 und sechs zweimotorigen Lockheed P-38 Lightning Jagdflugzeugen nach einem Tankstopp an der Westküste Grönlands in Bluie West 2 Richtung Reykjavik gestartet, dort aber nicht angekommen.

Die verlorene Schwadron

Die beiden Staffeln mit jeweils einer B-17, die für die Navigation zuständig war, und im Falle von „Tomcat Yellow“ zwei, im Falle von „Tomcat Green“ vier P-38 als Flankenschutz hatten im schlechten Wetter über dem Nordatlantik die Orientierung verloren und waren nach nach einem stundenlangen Irrflug nach Grönland zurückgekehrt. Weil ihnen dort der Treibstoff ausging, hatten sie jedoch keinen der Flugplätze an der Westküste mehr erreichen können und waren so auf dem Grönländischen Eis notgelandet. Aufgrund der verhängten strengen Funkstille erreichte diese Meldung die Comanche jedoch erst, als sie auf die Dorchester traf. Ausgelöst durch die umfangreichen Suchmaßnahmen zur Rettung der Piloten erlangte der Vorfall dieser „Lost Squadron“ im Nachhinein einige Berühmtheit. Dabei waren, wie erst nach und nach durchsickerte, alle acht Flugzeuge sicher auf dem Inlandeis gelandet und die Mannschaften schon nach wenigen Tagen gerettet worden. Die B-17 und die P-38 Lightning mit zusätzlichen Abwurftanks waren die einzigen Maschinen, die damals in der Lage waren, derartig lange Strecken zurückzulegen.

Der dringend erforderliche Ausbau beginnt

Alles in allem zeigte der Vorfall natürlich, wie wichtig eine Landepiste auch an der Ostküste war. So begannen denn auch die Bautrupps an Bord der von der Dorchester geführten Flottille, nachdem die Schiffe einen geeigneten Ankerplatz gefunden hatten, mit Hilfe eines provisorisch errichteten Krans, ihre schweren Maschinen zu entladen. „Während Planierraupen, Bagger und LKW an Land gehievt wurden,“ erzählt Bruno Yoka, der in dieser Zeit auf der Comanche diente, „machten sich die Vermessungstechniker schon einmal an die Arbeit, was man unzweifelhaft an den urplötzlich auftauchenden kleinen Fähnchen erkennen konnte, die schon früh den Verlauf der Start- und Landebahn erahnen ließen.“ Fundamente und Oberbau der ersten Gebäude waren so schnell errichtet, dass Yoka die Techniker noch beim Aufbau der Funkausrüstung tatkräftig unterstützen konnte. Unter Hochdruck wurde auch die Planierung und Befestigung der Runway vorangetrieben.
Am 1. November 1942 setzte Bluie East 2 schließlich den ersten Wetterbericht ab. Und im Sommer des kommenden Jahres wurde die Startbahn sogar auf 5.000 Fuß verlängert. So erlangte Bluie East 2 nie die zugedachte strategische Bedeutung im transatlantischen Flugverkehr der Air Force. Die hier üblichen extrem starken Winde und die Position eng umringt von besonders hohen Bergen sowie die strategisch sehr viel bessere Lage der Luftbasen an der Westküste sorgten dafür, dass diese sehr viel öfter angeflogen wurden. Dennoch bewährte sich Bluie East 2 als Ausgangspunkt für zahlreiche Search-and-Rescue-Einsätze und diente immer wieder auch als Tankstop für Langstreckenflüge über den Nordatlantik. Der einzige jemals von hier gestartete Angriff einer Bomber-Staffel auf eine 600 Kilometer entfernte von der Wehrmacht betriebene Wetterstation auf Sabine Island hingegen musste wegen schlechten Wetters abgebrochen werden und wurde später von Reykjavik ausgehend geflogen.

Hexenkessel im Eismeer

Immer wieder peitschten auch heftige Unwetter über den Stützpunkt selbst hinweg. So gab es vor allem im Winter, wenn die Runway nicht von Eis und Schnee befreit werden konnte, immer wieder Phasen, in denen Bluie East 2 aus der Luft mittels per Fallschirm abgeworfener Ladung oder gar per Snowmobile oder Hundeschlitten versorgt werden musste. Ausgangspunkt war jeweils der wesentlich geschützter gelegene Stützpunkt Bluie West.

Absinken in die Bedeutungslosigkeit

Mit dem Ende des Krieges im Jahr 1945 verlor der Stützpunkt dann endgültig seine Bedeutung und wurde schließlich 1947 zusammen mit zahlreichen anderen amerikanischen Einrichtungen in Grönland geschlossen. Knapp zehn Jahre später setzte auf Bluie East 2 kurzfristig eine gewisse Betriebsamkeit ein. Während des Baus der 1958 in Betrieb genommenen Radar-Frühwarnstation DYE-4 bei Kulusuk wurde die Runway von Bluie East 2 nochmals hergerichtet und mehrmals von Frachtmaschinen angeflogen.
Seither sind dort jedoch dutzende Fahrzeuge, Unmengen von Ausrüstungsgegenständen und tausende Treibstofffässer sich selbst überlassen und rosten seit Jahrzehnten vor sich hin. Was verwertbar war, hat die lokale Bevölkerung im laufe der Zeit abmontiert und mitgenommen beziehungsweise verbraucht. Die Dänische Regierung, die ab 1945 wieder das Hoheitsrecht auf Grönland ausübte, hatte weder ein Interesse an dem Stützpunkt, noch an dem von den Amerikanern zurückgelassenen Material.

Bergungsversuche tief unterm Eis


Zur Suche nach den auf dem Inlandeis zurückgelassenen Flugzeugen der Lost Squadron brachen seit 1981 mehrere Expeditionen nach Grönland auf. Die Maschinen waren zwischenzeitlich vollständig vom Eis umschlossen. Nachdem 1986 zuerst eine der B-17 in 72 Metern Tiefe geortet werden konnte gelang es sechs Jahre später, eine der P-38 zu bergen.Sie wurde zwischenzeitlich wieder flugtauglich aufgearbeitet und ist mittlerweile auf vielen Airshows vor allem in den USA unter demamen Glacier Girl zu sehen. (21) Die übrigen Maschinen der Squadron stecken derzeit rund hundert Meter Tief im Eis. Trotzdem gibt es Bestrebungen, zumindest die besonders gut gepanzerten fünf Lightnings zu bergen,während die deutlich größeren Bomber aufgrund ihrer schwächeren Struktur von der Eislast offensichtlich derart in Mitleidenschaft gezogen wurden, dass sich Ihre Bergung kaum mehr lohnt.

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