Rostige Zeitzeugen am Ufer des Salar de Uyuni

Bei Uyuni im Hochland der bolivianischen Anden liegt der größter Salzsee der Erde. Doch bevor sich Touristen dem Zauber der im Laufe von Jahrtausenden entstandenen Salzwüste ergeben können werden sie heutzutage zu einer anderen, menschengemachten Attraktion gekarrt, die man hier am Ende der Welt kaum vermuten würde: dem größten Lokfriedhof der Erde
Uyuni ist ein im Grunde völlig unbedeutender Flecken im Süden Boliviens, eine Kleinstadt von etwas mehr als 10.000 Einwohnern. Dennoch genießt der Ort, zumindest unter den Reiselustigen, weltweite Bekanntheit. Hauptgrund ist der hier in der äußerst dünn besiedelten Hochebene zwischen den beiden Andenhauptkämmen gelegene Salzsee, der nach dem Ort an seinen Ufern Salar de Uyuni genannt wird. Und dem gebührt als größter Salzsee der Welt immerhin schon einige Aufmerksamkeit. Ansonsten gibt es hier nichts Besonderes. Zwei Kirchen, zwei Fachgeschäfte für Lkw-Zubehör, eine zentrale Markthalle und natürlich all das, was mit dem durch den Salzsee prächtig gedeihenden Touristengeschäft zu tun hat: ein Reisebüro, mehrere Hotels und ein kleiner Busbahnhof.
Wer hier in der Dunkelheit ankommt um dann am frühen Morgen zu einer der Touren über den Salzsee zu starten, der hat keine Chance dessen gewahr zu werden, was sich wirklich deutlich ohnehin erst aus der Vogelperspektive, sprich unter Zuhilfenahme von Google Earth erschließt: Uyuni, das ist vor allem erst einmal ein Bahnhof. Derart umfangreich sind die Gleisanlagen, dass sie in Längsrichtung beinahe die gesamte Ausdehnung der Ortes erreichen. Verglichen mit den anderen Unterwegsbahnhöfen und in Relation gesetzt zu dem eher bescheidenen Verkehrsaufkommen das die überschaubare Zahl der in Oruro einsteigenden Fahrgäste entweder hier schon wieder ausschleust oder noch ein Stück weiter in südlicher Richtung über Tupiza bis nach Villazón an der argentinischen Grenze verkehren lässt, wirkt die Bahnstation Uyuni zunächst völlig überdimensioniert.
Doch entgegen der heutigen Situation wo die meisten, überwiegend von Touristen genutzten Züge auf einer Nord-Süd-Achse verkehren, waren es einst der von Uyuni aus direkt in westlicher Richtung abgehende Strang sowie die beiden von hier aus bzw. drei Stationen weiter nördlich in Rio Mulato nach Osten verlaufenden Stichstrecken, denen das Städtchen im wahrsten Sinne des Wortes seinen Bahnanschluss verdankt.
Auch wenn man sich das heute kaum mehr vorstellen kann: Uyuni war einst ein bedeutender Eisenbahnknotenpunkt. Davon künden nicht nur die Ausmaße der nach Südwesten hin sogar über das Städtchen hinausragen Gleisanlagen, sondern auch die zahlreichen hier an der Ortsgrenze abgestellten Skelette vor sich hin rostender alter Dampfloks, welche längst die eigentliche Hauptattraktion der Stadt verkörpern. Auch wenn das hier geparkte und sich selbst überlassene Alteisen der lokalen Bevölkerung Jahrzehnte lang als Rohstofflager diente, dessen man sich in Verfolgung jedweder Reparatur in Form beliebiger Bleche oder Gussteile bediente, spiegeln diese rostigen Überreste einer längst untergegangenen Epoche auch heute noch auf eindrucksvolle Weise wieder, welch enormes Frachtaufkommen hier zu bewältigen war. Auf der nach Westen scheinbar schnurgerade bis zum Horizont Richtung verlaufenden Strecke rumpelten früher endlose, in Potosi oder in der Mine von Huanchaca mit Erzen beladene Güterzüge zum Pazifik. Zugleich war Uyuni Unterwegsbahnhof für Luxuszüge, die noch 556 Kilometer weiter Richtung Norden bis zur Metropole La Paz verkehrten.

Die Entstehung der Bahn

Wer heute, den Lokfriedhof in einigen hundert Metern Entfernung vor Augen, die staubigen Gleise entlang in Richtung der in rund 170 Kilometern Entfernung liegenden chilenischen Grenze blickt, mag sich kaum vorstellen, dass dieser scheinbar verlassene Strang mit seiner Fortsetzung jenseits der Grenze einst eine Einheit bildete und in steilen Windungen die Anden hinab 617 Kilometer weiter bis zur Hafenstadt Antofagasta am Pazifik führte. Doch der Schriftzug FCAB, den die von Antofagasta aus nach Nordosten verkehrenden Züge auf chilenischer Seite bis heute führen, war die längste Zeit Erkennungsmerkmal auch jener Züge, die auf ihrem Weg die Station Uyuni streiften. Die Grenze zwischen beiden Ländern spielte dabei nur eine untergeordnete Rolle. Mehr noch: In den ersten Jahren der 1872 einsetzenden Geschichte der Bahn war von einer Grenzlinie überhaupt keine Rede.
Denn es war die Bolivianische Regierung, die der Melbourne Clarke & Company 1872 eine Konzession für den Bau einer Schmalspurbahn mit 762 mm Spurweite von Antofagasta zu den Guanofeldern des Unternehmens in Pampa Alta erteilte. Bolivien, seit 1825 unabhängig von Spanien, erstreckte sich nämlich ursprünglich bis zum Pazifik. Der Zweck des Bahnbaus unterdessen war mit dem ursprünglichen Namen Compañia de Salitres y Ferrocarriles de Antofagasta (Antofagasta Nitrate & Railway Company) hinlänglich umrissen: Die Bahn sollte helfen, die reichen Guanovorkommen des schmalen Streifens von Ödland entlang der Pazifikküste auszubeuten. Guano, seit Mitte des Jahrhunderts als idealer Rohstoff sowohl für die Produktion von Düngemitteln als auch von Sprengstoffen bekannt, hatte längst die Begehrlichkeiten der Industrienationen in Europa geweckt. So wurde 1873 der Bau der Bahnlinie zügig in Angriff genommen. Noch im selben Jahr konnte eine bis zum Salar del Carmen reichende, 29,9 km lange Teilstrecke fertiggestellt werden. 1879 reichte die Strecke bereits 128 km bis Salinas ins Landesinnere.

Zwei Jahre zuvor jedoch war der Küstenstreifen von einer schweren Katastrophe heimgesucht worden. Das Erdbeben von Iquique ließ mit einer Stärke von 8,8 zahlreiche Bauten einstürzen und hatte zudem einen katastrophalen Tsunami zur Folge. Zwischen den Küstenstädten Arica und Mejillones walzten über zehn Meter hohe Wellen alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Die Regierung sah sich außerstande, für die Reparatur der massiven Schäden einzustehen. So versuchte man, von den hier überwiegend im Guano-Abbau tätigen chilenischen Unternehmen rückwirkend Steuern zu erheben. Genau das war aber in dem zwischen Chile und Bolivien 1866 geschlossen Grenzabkommen für die Dauer von 25 Jahren ausgeschlossen worden. Es kam, wie es in dieser Zeit kommen musste: Die Streitigkeiten wurden in einer handfesten kriegerischen Auseinandersetzung ausgetragen. 1884 stand der Sieger fest: Chile beanspruchte das rohstoffreiche Land bis zur peruanischen Grenze für sich, Bolivien musste seine Küstenprovinz Antofagasta an Chile abtreten und wurde zum Binnenstaat ohne Zugang zum Meer.

Die Bahn wird zur Schlagader der wirtschaftlichen Entwicklung

Im Abkommen von Valparaíso hatte sich Chile dazu bereit erklärt, und das sollte sich für Uyuni als ausgesprochen folgenreich erweisen, Bolivien durch den Anschluss an eine Bahnlinie den indirekten Zugang zum Pazifik zu ermöglichen. Noch im gleichen Jahr erteilte die chilenische Regierung der Antofagasta Nitrate & Railway Company die Konzession für die Verlängerung der Strecke bis zur 441 km von Antofagasta entfernten chilenisch-bolivianischen Grenzstadt Ollagüe. Dabei verfolgte man durchaus auch eigene Interessen. Längst war nämlich klar, dass in der Region nahe der neuen Grenze zum Nachbarland noch andere wertvolle Rohstoffe im Boden lagerten.
In Bolivien unterdessen gerieten, nachdem die schon von den Spaniern geplünderten Silbervorkommen des Cerro Rico bei Potosi größtenteils erschöpft waren, die dort lagernden Zinnerze in den Fokus des Interesses. Auch im ein Stück weiter südwestlich gelegenen Huanchaca in der Region Pulacayo hatte man große Zinnvorkommen entdeckt. Derer hatte sich die 1873 gegründete Compania Huanchaca de Bolivia angenommen, die hier begann, Zinnerze abzubauen. Wie zuvor beim Silberbergbau wurde das Erzgestein zunächst mit Lamas transportiert. Von Potosi in Gruppen von 100 oder mehr Tieren mit jeweils 50 Kilogramm Erz aufbrechend brauchte jeder Transport Wochen bis zur Küste.
Dieses hochgradig unwirtschaftliche Procedereveranlasste die Compania Huanchaca mit den nunmehr chilenischen Betreibern der Bahn in eine Diskussion über eine Streckenverlängerung nach Uyuni einzutreten. 1885 sah es so aus, dass man zu einer Zusammenarbeit beider Unternehmen kommen könnte, wobei die Minengesellschaft das nötige Kapital hätte bereitstellen sollen. Doch es kam anders. So setzte die Compania Huanchaca, als dieser erste Plan endgültig gescheitert war, alles auf eine Karte und kaufte 1887 für 3000000 Pesos alle Rechte an der Bahnlinie und kapitalisierte diese im Folgejahr an der Londoner Börse. Teil des dort mit den britischen Investoren geschlossenen Vertrags war das Recht, die Linie 15 Jahre lang in eigener Regie zu betreiben. Notiert wurde die Bahngesellschaft ab 1888 unter dem NamenFerrocarril de Antofagasta a Bolivia (FCAB). Mit dem nötigen Kapital im Rücken schritt die Verlängerung der Linie zügig voran. 1889 erreichte die Strecke mit Streckenkilometer 617 das Städtchen Uyuni. Weitere 33 Kilometer später wurde im selben Jahr das auf 4125 Metern Höhe gelegene Pulacayo sowie nach dem Bau eines über 3 Kilometer langen Tunnels schließlich auch das Minengelände bei Huanchaca erreicht.
Zugleich trieb man den Bahnbau auch nach Norden Richtung Oruro weiter. Das war wichtig, weil man auf dem Weg dorthin auf Höhe von Rio Mulato auf die bereits von der Bolivianischen Railway Company gebaute und ein hohes Frachtaufkommen versprechende Strecke zu den Minen von Potosi treffen sowie in Oruro Anschluss an die bereits in Betrieb befindliche, in Meterspur erstellte Linie zur landwirtschaftlich bedeutsamen Region Cochabamba erhalten würde.

Vor- und Nachteile einer äußerst trockenen Region

Der rasche Baufortschritt verdankte sich unter anderem dem Umstand, das die Gleise größtenteils ohne Bettung direkt auf dem Boden verlegt werden konnten. Das war hier in der Altiplano genannten Hochebene zwischen den Andenkordilleren ohne weiteres möglich. Geologisch gesehen ist die gesamte Hochebene nämlich dem Grund eines urzeitlichen Ozeans zuzurechnen, der im Laufe von Jahrmillionen durch Auffaltung der Anden allmählich in die Höhe gehoben wurde. Während das Wasser dabei entweder in Richtung Pazifik ablief oder schlichtweg verdunstete, ging der Schlick des Meeresbodens mit dem zurückbleibenden Salz eine betonharte Verbindung ein, die sich nur im Falle immenser und anhaltender Niederschläge wieder in Schlamm verwandelt. Genau solche Niederschläge sind hier, so wie umso mehr auf dem chilenischen Teil der Strecke, kaum zu befürchten. Dass die in Uyuni versammelten rostigen Zeitzeugen hier dennoch allmählich im Boden zu versinken scheinen liegt insofern nicht etwa daran, dass der Gleiskörper abgesackt wäre. Die Ursache ist viel mehr die hier beständig wirkende Winderosion, die bisweilen das Alteisen sandstrahlt und vor allem nicht genutzte Gleisanlagen zusetzt.
So sehr der hier zu verzeichnende Niederschlagsmangel einerseits den Bahnbau vereinfachte, stellte er andererseits, speziell für den Betrieb von Dampfloks, auch ein veritables Problem dar. Die 238 Kilometer von Antofagasta bis zur Oasenstadt Calama ließen sich zwar durch Mitnahme entsprechend großer Vorräte noch so gerade eben bewältigen, doch spätestens mit Beginn des Weiterbaus bis zur bolivianischen Grenze mussten sich die Verantwortlichen der FCAB etwas einfallen lassen. So wurden zur nötigen Wasserversorgung sowohl von Antofagasta als auch der Bahnlinie große Anlagen zur Destillation von Meerwasser errichtet. Von Antofagasta aus wurde das Wasser über größtenteils entlang der Strecke verlegte Wasserleitungen in Richtung Hochebene gepumpt. Später nutzte die FCAB mehrere im Altiplano entdeckte unterirdische Quellen und sprengte in Arealen mit felsigem Untergrund künstliche Bassins aus dem Boden um ihr Leitungsnetz bis nach Antofagasta aus diesen Wasserreservoirs zu versorgen. Auch in Uyuni wurden solche Reservoirs angelegt, die man auch heute im direkten Umfeld der Gleisanlagen besichtigen kann.

Die Spur der FCAB wird breiter

Als 1903 die Führung der FCAB vertragsgemäß an die Briten überging, übernahmen sie eine kerngesunde Bahnlinie, die mit einem Frachtaufkommen von beinahe 2 Millionen Tonnen glänzte. Für eine Bahn mit nur 762 Millimetern Spurweite ein beachtlicher Wert. Kehrseite der Medaille aber war zugleich, dass die schmale Spur einer weiteren Steigerung enge Grenzen auferlegte. Das, sowie der Umstand, dass die FCAB mehrere Berührungspunkte mit meterspurigen Bahnlinien hatte, führte im Jahr 1913 zum Beschluss, das gesamte Streckennetz auf Meterspur umzubauen. Das bedeutete natürlich, dass nicht nur die Gleise, sondern auch das rollende Material der neuen Spurweite angepasst werden musste. Bei den allesamt mit Drehgestellen versehenen insgesamt 103 Reisezug- und 2140 Güterwagen war das eine zwar organisatorisch aufwändige aber technisch beherrschbare Aufgabe, bei den Lokomotiven stieß man dabei zum Teil auf unüberwindbare Hürden.

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