Wenn in Dubai ein neues Projekt entsteht, dann meist mit einem Superlativ. Das gilt auch für das größte Riesenrad der Welt, das natürlich hier am Persischen Golf und nicht in New York entstehen muss. Dafür waren die Scheichs bereit, ausgesprochen tief in die eigene Tasche zu greifen

Wien lieferte die Blaupause: Seit deutlich mehr als hundert Jahren dreht sich hoch über dem Prater, dem Vergnügungspark am Rande der Stadt, das längst zum Wiener Wahrzeichen avancierte Riesenrad seine Runden. Es prägte damit unser aller Bild vom Sightseeing per Rad, das sich auf der Stelle dreht. Dabei konnte das 1897 zur Feier des 50. Thronjubiläums des damaligen Kaisers Franz Joseph I. errichtete Rad mit seinem Gesamtdurchmesser von 60,96Metern schon damals nicht wirklich einen Superlativ für sich in Anspruch nehmen.

Den hatte schon Jahre zuvor das anlässlich der Chicagoer Weltausstellung von 1893 erbaute und im angelsächsischen Sprachraum bis heute namensgebende Ferris Wheel mit einem Raddurchmesser von 76,2 Metern aufgestellt, um den zur Weltausstellung 1889 in Paris errichteten Eiffelturm zu übertrumpfen. Ein zweites Mal zur Weltausstellung 1904 in St. Louis aufgebaut, war es zwei Jahre später dann aber verschrottet worden.
Der Hype schien vorbei und der fortdauernde Betrieb des Rades am Prater in erster Linie der Gemütlichkeit der Österreicher und ihrem Festhalten an liebgewonnenen Traditionen zu verdanken zu sein.
Das Rad neu erfunden

Es war der bevorstehende Übergang in ein neues Jahrhundert, der die Idee des Riesenrades neu belebte. 1998 begann man in London anlässlich der bevorstehenden Millenniums-Feierlichkeiten mit dem Bau des London Eye, eines Riesenrades, das mit 135Metern Durchmesser und 32 Gondeln alles Bisherige weit hinter sich lassen sollte. Es entwickelte sich in kürzester Zeit zum Touristenmagneten. Von dem Ziel, eine solche Einnahmequelle auch anderenorts anzuzapfen ebenso getrieben, wie von dem Bestreben, andere Städte mit einem jeweils noch größeren Rad auszustechen, entwickelte sich in den Folgejahren eine regelrechte Gigantomanie auf diesem Feld.
Durchgedrehtes Wettrüsten

Im Jahr 2006 wurde das London Eye als größtes Riesenrad der Welt abgelöst von dem mit rund 7000 Lampen beleuchteten Stern von Nanchang in China. Der Coup der Chinesen, sich mit einem Rad von 153 Metern Durchmesser und sage und schreibe 60 Gondeln (die allerdings nur Platz für jeweils 8 Fahrgäste bieten) auf den ersten Platz zu katapultieren, währte kaum zwei Jahre. 2008 nahm nämlich bereits der sein chinesisches Pendant in der Höhe um gerade einmal 5 Meter überragende Singapore Flyer den Betrieb auf. Jeweils 28 Fahrgäste fahren in der etwas mehr als halbstündigen Fahrt in den 28 aufwändig klimatisierten Gondeln auf eine Höhe von bis zu 165Metern.

Bereits im Laufe des Jahres 2012 zeigte sich, dass der Titel des weltgrößten Rades auch nicht lange in dem Stadtstaat bleiben würde: Im April 2014 nahm der High Roller in Las Vegas den Betrieb auf und setzte sich mit 158,5 Metern Durchmesser an die Spitze. Aus 168,5Metern erreichter Maximalhöhe genießen die Fahrgäste eine spektakuläre Aussicht auf den Las Vegas Strip und weit in das Umland Nevadas. Bereits zu Baubeginn des Rollers zeichnete sich ab, wo das nächstgrößere Riesenrad gebaut werden würde: New York. Direkt neben dem Terminal der Staten Island Ferry laufen die Arbeiten am New York Wheel mit einer geplanten Höhe von 192Metern und einem Durchmesser von 183 Metern bereits auf Hochtouren. Dank seiner 36 Gondeln, die jede Platz für bis zu 40 Fahrgäste bieten sollen, wird der 10.000-Tonnen-Koloss vor allem mit einer gigantischen Massenabfertigung von sich reden machen. Immerhin gehen hier mit Blick auf die Skyline Manhattans jeweils über 1.400 Touristen auf Rundreise. New Yorks ehemaligem Bürgermeister Bloomberg zufolge könnten das geschätzt bis zu 30.000 Fahrgäste am Tag sein!
Dubai sticht New York aus

Die Halbwertszeit auch dieses Rekords dürfte binnen weniger Monate aufgebraucht sein. Denn noch bevor die Pläne für New York die Runde machten, hatte bereits ein weiterer Mitbewerber in der Kakophonie größer, höher, teurer mit den Vorarbeiten für ein neues Rekordrad begonnen. Seit 2013 laufen im Emirat Dubai nämlich die Arbeiten an Bluewater Island, einem milliardenschweren Megaprojekt, das 10 Apartmenthäuser, 17 Stadthäuser, Einkaufszentren, Restaurants und zahlreiche Unterhaltungsangebote umfasst, die allesamt auf einer weiteren, südlich von Palm Jumeirah zu schaffenden künstlichen Insel entstehen sollen. Hauptattraktion ist auch hier ein Riesenrad nach dem Vorbild des London Eye, welches natürlich – wie alles, was in Dubai entsteht – dem Primat unterlag, ein neues Superlativ zu etablieren. Als Bloomberg die Pläne für New York vorstellte, lief in Dubai, trotz des fertigen Konzepts für das Dubai Eye, die Landgewinnung für die neue Insel noch auf Hochtouren. Nicht gewohnt, sich mit Platz zwei aufzuhalten, ließen die Scheichs ihr Mega-Projekt am Persischen Golf kurzerhand hochskalieren.
Vorläufiger Schlusspunkt

Das einstweilen größte Riesenrad wird demnach nun doch in Dubai gebaut werden und soll eine Höhe von nunmehr 210 Metern erreichen. In 48 Gondeln sollen je 30 Fahrgäste auf einer rund 45-minütigen Fahrt einen atemberaubenden Blick über Jumeirah Beach, den Burj Al Arab, den Burj Khalifa und die Palmeninsel Jumeirah genießen. Wegen der aufgrund seiner enormen Größe gegenüber dem Vorbild London Eye notwendigerweise um die Hälfte längeren Fahrzeit rechnen die Betreiber des inzwischen „Ain Dubai“getauften Rades vorsichtig mit einer Zahl von rund drei Millionen Fahrten pro Jahr. Zum Vergleich: Den Blick auf Londons Skyline gönnen sich jährlich rund 3,5 Millionen Besucher und in New York hält man mit dem erheblich größeren Rad etwa 4,5 Millionen Besucher für realistisch.
Angebot und Nachfrage aus einer Hand

Hersteller des Ain Dubai, des New York Wheel und des London Eye ist das niederländische Joint Venture Mammoet Starneth LLC, dem praktischerweise nicht nur der Betreiber des zu seiner Aufstellung nötigen Mega-Krans, sondern auch dessen wichtigster Lieferant angehören. Mit im Boot ist das Unternehmen Starneth, ein ausgewiesener Spezialist für die Konstruktion riesiger Stahlstrukturen. Dieses Firmenkonstrukt steht für geballte Kompetenz auf dem Feld des Umgangs mit S690-Stahlwerkstoffen und der Anfertigung schwerster Strukturen, bei deren Verbindung Stumpfnähtevon bis zu 100 Millimetern anfallen können, die nicht selten in bis zu 120 Lagen geschweißt werden müssen.
So wundert es kaum, dass ein Großteil der bei Montage der Riesenräder verbauten Teile trotz weltweiter Ausschreibung aus unserem westlichen Nachbarland stammt. Das Stahlbauunternehmen Huisman, einer der wichtigsten Mammoet-Zulieferer und Spezialist für schwerste Maschinen für den On- undOffshore-Markt, lieferte die Nabenspindel, die Streben, die Antriebstürme und biegesteifen Speichen sowie deren Montageeinrichtungen. Tecmacom steuertedie Speichenseile bei, die Gondelnwurden von vier Unternehmen der VDL Groep gebaut, Philips ist für die LED-Beleuchtung zuständig und IHC für die Hilfskonstruktion für die Montage der Stützen des Riesenrades. Der Anteil Mammoets an den Projekten liegt schließlich in erster Linie in der Bereitstellung notwendiger Krankapazitäten.
Monsterkran in den Sand gesetzt

Lange bevor das Ain Dubai langsam Gestalt annahm, war auf Bluewater Island denn auch Mammoets PTC DS-200, der hubstärkste Kran der Welt, für geraume Zeit der wahre und weithin sichtbarere Star auf der Baustelle. Dieser auf einem feststehenden, riesigen Drehkranz ruhende Gigant ist bei Maximalkonfiguration in der Lage, Lasten von bis zu 5.000 Tonnen zu heben. Er zeichnete für die Montage des enormen Gestells des Rades und der dafür nötigen Hilfskonstruktion verantwortlich. Die beiden nach oben hin aufeinander zugeneigten A-Stützen des Rades bestanden während der Montage nämlich zunächst nur aus vier 126 Meter geneigt in die Höhe ragenden Säulen, die auf ungefähr 3/5 ihrer Höhe von einem zentralen Rahmen mit quadratischem Grundriss abgefangen wurden.
Jede der vier Säulen lagerte dabei auf je einem beweglichen Sattel des Hilfsrahmens, der mit Hilfe einer Schub- und Zugvorrichtung die Feinjustierung der Position der himmelwärts gewandten Montageflansche jeder einzelnen Säule erlaubte.
1.805 Tonnen am Haken

Genau das war unverzichtbare Bedingung für die spektakulärste Etappe des ganzen Baus: Die Montage der als ein Teil gelieferten Spindel mit den beiden Naben und den zu beiden Seiten sich A-förmig verzweigenden Stummeln der überaus massigen Standbeine. Dieses beeindruckende, in etwa 40 Meter lange und rund 20 Meter hohe Teil bringt stattliche 1.805 Tonnen Gewicht auf die Waage und musste auf rund 130 Metern Höhe millimetergenau mit den nach oben ragenden Stützen verschweißt werden! Deshalb kam dem Mammoet PTC DS-200 für diese Etappe ein zweiter, kaum weniger beeindruckender Kran, der Liebherr LR13000 mit maximal 3.000 Tonnen Hubkraft, zu Hilfe.

Zwar wäre jeder der beiden Giganten auch allein in der Lage gewesen, das riesige Teil zu heben, doch am Haken nur eines Krans wäre das Manövrieren des Schwergewichts in luftiger Höhe erheblich schwerer gefallen. Die größte Herausforderung war nämlich, die enorme Spindel, einmal exakt in Stellung gebracht, für mindestens die Hälfte der insgesamt vier Wochen andauernden Schweißarbeiten absolut ruhig in Position zu halten. Erst dann war eine so hohe Zahl von Schweißlagen aufgebracht, dass die Standsicherheit der ganzen Konstruktion gewährleistet war.
Schwerkraft ausgetrickst

Während die Schweißarbeiten in ihre zweite Phase eintraten, begann bereits der Abbau der Krangiganten. Für die Montage des eigentlichen Rades wurde nur noch ein deutlich kleinerer Kran gebraucht. Nach Fertigstellung der Stützkonstruktion begann mit der Montage des eigentlichen Rades schließlich die zweite Hauptetappe der Arbeiten. Auch hier galt es einige Schwierigkeiten zu meistern, die sich aus der spezifischen Konstruktion dieser übergroßen Riesenräder ergeben. Um deren Gewicht nach Kräften zu begrenzen, setzte man bereits vor über hundert Jahren darauf, wie bei den Speichen und der Felge eines Fahrrads, die umlaufende Radkonstruktion über Stahltrossen mit der Nabe zu verspannen. Der Pferdefuß dabei ist allerdings die bis zur Fertigstellung ausgesprochen labile Struktur des entstehenden Kreissegments.

Das Rad des London Eye wurde daher noch liegend auf mehreren schwimmenden Plattformen auf der Themse montiert und dann mit einem Kran aufgerichtet. Bei den Nachfolgekonstruktionen in New York und Dubai wählte Mammoet Starneth LLC ein anderes Verfahren, das eine stehende Montage des Rades zulässt. Dabei werden die Radsegmente zunächst über starre Streben mit der Nabe verbunden, die nach Fertigstellung des Rades schließlich sukzessive gegen Stahlseile ausgetauscht werden. Am Ende soll das Rad dann vollständig von den insgesamt 192 Stahlseilen stabilisiert werden.
Technische Gymmicks

Das Ain Dubai in Rotation versetzen sollen schließlich vier unabhängige Antriebseinheiten mit insgesamt 32 durch Elektromotoren angetriebenen Reibrädern. In der Mitte des Rades wird es überdies einen deutlich über 50 Meter großen, kreisrunden LED-Screen geben, der mit Hilfe von Videos und interaktiven Grafiken alles Wissenswerte über Dubai vermittelt. So viel geballte Technik hat indessen auch ihren Preis. Rechnet man beim New York Wheel mittlerweile mit Kosten von rund 590 Millionen Dollar, könnte sich Insidern zufolge die Investitionssumme beim Ain Dubai bereits in Richtung einer Milliarde Dollar bewegen.
Dass das Riesenrad am Prater bis heute überdauert hat, verdankt sich übrigens auch dem lieben Geld: Im Jahre 1916 wurde eine Abbruchgenehmigung erteilt, die der damals klamme Betreiber aus Geldmangel jedoch nicht in Anspruch nahm.