Hongkong-Zhuhai-Macao-Brücke

Per Auto übers Meer: Die Hongkong-Zhuhai-Macao-Brücke gestattet in Kürze die Überquerung des an dieser Stelle rund dreißig Kilometer breiten Perlflussdeltas im Westen von Hongkong in deutlich weniger als einer halben Stunde

Bereits in den frühen 80er Jahren gab es in China angesichts der absehbaren Rückgabe des von den Briten gepachteten Hongkong Überlegungen zu einer Querung des Perlflussdeltas Richtung Macao – damals noch ein utopisches Projekt. Doch dann nahm Hongkong, damals noch unter britischer Ägide, in den 90er Jahren den Bau eines neuen Flughafens auf der im Westen gelegenen Insel Chek Lap Kok in Angriff. Und die per Schnellstraße geschaffene Anbindung des 1998 in Betrieb genommenen Mega-Flughafens an das Stadtzentrum lieferte die perfekte Steilvorlage, nunmehr ernsthaft über eine solche Verbindung nachzudenken. Vom Flughafen aus reduzierte sich nämlich die bestehende Lücke einer gedachten Straßenverbindung zwischen den in Luftlinie rund 50 Kilometer voneinander entfernten Städten um mehr als ein Drittel.
So begannen die Entscheidungsträger der Städte Macao und Hongkong gemeinsam mit der chinesischen Zentralregierung, die Chancen einer Realisierung des Megaprojekts zu beleuchten. Wie viele andere bedeutende Infrastrukturprojekte würde auch diese direkte Verbindung der Metropolen zur Stabilisierung des Wirtschaftswachstums beitragen. Das umso mehr, als sich dadurch die deutlich über drei Stunden lange, an dem 12,5-Millionen-Moloch Shenzhen vorbeiführende Fahrt von Macao nach Hongkong von mehreren Stunden auf nur noch rund 30 Minuten verkürzen würde.

Startschuss für eine Mega-Brücke

2009 gab es grünes Licht für das Projekt. Die Planungen für die Hongkong-Zhuhai-Macao-Brücke (HZMB) sahen vor, von der ehemals portugiesischen Kolonie Macao ausgehend den größten Teil des Perlflussdeltas zunächst per Viadukt zu überqueren, und dann nach etwa zwei Dritteln der Neubaustrecke in einen Unterwassertunnel überzugehen, um dann das letzte Stück bis nach Chek Lap Kok wieder über Wasser zu verlaufen. Die Gesamtlänge der geplanten Brückenbauwerke würde sich dabei auf 29,6 Kilometer addieren, der Unterwasserabschnitt der Verbindung über eine Länge von knapp 6 Kilometern erstrecken.
Weil das Perlflussdelta zwischen Hongkong und Macao relativ flach ist und Wassertiefen von kaum mehr als 20 Meter aufweist, wurde die Brücke zu großen Teilen als Stelzenbrücke geplant. Die Bereiche bestehender Fahrrinnen für größere Schiffe sollten jedoch insgesamt drei Schrägseilkonstruktionen mit Spannweiten zwischen 280 und 460 Metern überbrücken. Anders als bei der komplett aus Betonfertigteilen erstellten Stelzenbrücke favorisierten die Ingenieure für ihre Brückendecks jedoch eine Ausführung in Stahlbauweise. Den Hauptschifffahrtskanal mit einem auch für sehr große Schiffe ausreichenden Tiefgang indessen würde den Planungen zufolge ein 5.940 Meter langer Absenktunnel unterqueren.

Baubeginn

Ende 2009 begannen mit der symbolischen Grundsteinlegung die Bauarbeiten des gigantischen Projekts. Verteilt auf diverse Baulose begannen mehrere Unternehmen mit den nötigen Gründungsarbeiten. Dazu mussten zahllose Gründungspfähle in den Grund der Bucht getrieben werden. Die Spezifikationen des Bauherrn, des chinesischen Highway Department, sahen dabei vor, die Pfähle mit Durchmessern von 2.300 und 2.500 Millimetern bis in den Felshorizont zu bohren. Aufgrund der hohen Sedimentfracht des in China Zhu Jiang genannten Perlstroms und den infolgedessen ausgesprochen mächtigen Sedimentablagerungen in der Bucht mussten dabei Bohrtiefen von bis zu 112 Metern erreicht werden. Dazu wurden überwiegend fest auf Pontons installierte, riesige Bohrgeräte eingesetzt.
Nach Fertigstellung der Brückenpfeiler in Ortbeton-Bauweise konnte schließlich mit der Montage des Brückenträgers begonnen werden. Für die benötigten Betonfertigteile wurde in der Nähe der Baustelle auf den östlich der Flughafeninsel Chek Lap Kok gelegenen Hong Kong Boundary Facilities eine riesige Fertigungsanlage aufgebaut. Hier entstanden die insgesamt 5.714, zwischen 75 und 225 Tonnen schweren und zwischen 4 und 10 Meter hohen Segmente.

Zwei neue Inseln entstehen

Parallel zu diesen Arbeiten verlief die wesentlich aufwändigere Landgewinnung der beiden, jeweils für den Übergang von Brücke zum Tunnel nötigen künstlichen Inseln. Entgegen der ursprünglich geplanten Bauweise, die ein weitgehendes Ausbaggern des Grundes und eine darauf folgende Aufschüttung mit Schotter vorsah, schlug der mit diesem Part beauftragte Generalunternehmer eine neue Methode vor, die Baggerarbeiten nahezu vollständig erübrigen würde. Weil die damit verbundenen Kosten die ursprünglich veranschlagten nicht überschreiten, sich die Beeinträchtigungen des gesamten Ökosystems allerdings deutlich reduzieren würden, stimmte das Highway Department diesem Vorschlag zu.
Folglich wurden zur Landgewinnung für die Inseln entlang ihrer geplanten Kontur je eine 3,6 bzw. 2,5 Kilometer lange, längs-ovale Reihe voluminöser Stahlzylinder per Rütteltechnik rund zwanzig Meter tief in den Schlick auf dem Grund des Deltas getrieben. Anschließend konnten die Zylinder mittels Steinschüttungen stabilisiert werden. Eine zweite, in den Zwickelfeldern dieser Hauptreihe positionierter Reihe von Stahlzylindern deutlich kleineren Durchmessers ergab dann, mit ersteren verschweißt und ebenfalls verfüllt, eine die Umrisse der Inseln umschreibende, geschlossene Ringmauer. Nach der Aufschüttung des von dieser Ringmauer umschlossenen Raumes war die Schaffung der künstlichen Inseln letztlich abgeschlossen und ließ ihre weitere Bebauung zu.
Das Verfahren erübrigte den Aushub und die Umschichtung von geschätzten 22 Millionen Kubikmetern Meeresboden, reduzierte das Volumen des benötigten Füllmaterials um etwa die Hälfte und verringerte die Menge des bei solchen Arbeiten zwangsläufig aufgewirbelten Meeresbodens um runde 70 Prozent. Nachteilig wirkte sich jedoch das aufwändige Handling dieser hier erstmals angewandten, komplexen Technik aus. Dies nicht zuletzt, weil sie den Einsatz großer Schwimmkrane erforderte, die wegen ihres hoch aufragenden Auslegers wiederum mitten in der Einflugschneise des nahe gelegenen Flughafens operierten und damit ein nicht verantwortbares Risiko für startende und landende Jets bedeuteten. Folglich musste die südliche Start- und Landebahn für den Flugbetrieb weitestgehend geschlossen werden, was andererseits für diesen Bauabschnitt ein ausgesprochen enges Zeitfenster diktierte. Obwohl zunächst ausgeschlossen, erwies sich dieses neue Verfahren im Nachhinein als Hauptgrund für die leichte Verzögerung der geplanten Fertigstellung des Bauwerks.

Absenktunnel aus vorgefertigten Elementen

Wie bereits erwähnt, steht die Errichtung der beiden künstlichen Inseln in direktem Zusammenhang mit der geplanten Unterquerung der Hauptfahrrinne per Tunnel. Hier kam ein erst seit wenigen Jahren etabliertes, aber ausgesprochen erfolgreich praktiziertes Verfahren zur Anwendung: die Erstellung der Unterwasserstrecke per Absenktunnel. Dazu wird die Tunnelstrecke in einzelne Segmente aufgeteilt, die in einem Trockendock aus Stahlbeton produziert werden. Nach ihrer Fertigstellung werden die Stirnseiten dieser in gleichbleibendem Querschnitt gefertigten Tunnelsegmente verschlossen und das Trockendock geflutet.
Trotz ihres hohen Gewichts verfügen diese Betonsegmente noch über ausreichenden Auftrieb, um sie anschließend per Schlepper an ihre vorgesehene Position zu manövrieren, wo sie, geführt von einem schweren Schwimmkran, durch langsames Fluten in einen zuvor ausgebaggerten und mit einer Schicht aus Schotter nivellierten Graben auf den Meeresboden sinken und dort miteinander verbunden werden. Durch das anschließende Entfernen der Stirnwände entsteht Schritt für Schritt ein durchgehender Tunnel. Nach seiner Fertigstellung werden Graben und Tunnelsegmente mit einer bis zu 20 Meter starken Schotterschicht abgedeckt. Mit einem letztlichen Auftrag von Sand wird der Meeresboden wieder nivelliert.
Das soweit bestens erprobte Verfahren erfuhr im Perlflussdelta allerdings einige nicht unerhebliche Modifikationen. Das betrifft insbesondere die gewaltigen Dimensionen der hier verbauten Segmente. Mit einer Breite von 38 Metern, einer Länge von 180 Metern und einer Höhe von etwas mehr als 11 Metern stellen sie alles Bisherige in den Schatten. Diese enorme Größe und die ebenfalls bislang mit diesem Verfahren noch nie erreichte Wassertiefe von nahezu 60 Metern erforderten einen extrem dichten Käfig aus Armierungsstahl sowie einen monolithischen, absolut nahtfreien Korpus. Um das zu erreichen, war es unabdingbar, jedes Segment in einem Stück zu betonieren. Das erforderte wie beim Hochbau ein kontinuierliches Verschieben der Schalung in hier jeweils 22,5 Meter großen Schritten.
Dabei stellte die Gewährleistung einer sukzessiven Entformung der Kernschalung und ihre unmittelbar anschließende erneute Positionierung für die nächste Etappe der Betonierung eine enorme Herausforderung dar. Die Herstellung einer solchen, jeweils 72.000 Tonnen schweren Tunnelsektion zog sich über 30 Stunden hin. Produziert wurden die 33 Tunnelsegmente in einer mit zwei Fertigungslinien ausgestatteten riesigen Halle auf der südlich der Brücke gelegenen Insel Lung Sou Gok. 2015 war der Tunnel nach dreijähriger Bauzeit fertiggestellt.

Brückenbauten mit deutscher Schlüsseltechnik

Auch bei der Konstruktion der drei Schrägseilbrücken im Verlauf der HZMB standen die Ingenieure vor einigen Herausforderungen. Das Problem stellten hier weniger die mit einer Länge von 280 bis 460 Metern heutzutage durchaus handhabbaren Hauptspannweiten der Brücken dar, als ihre durch die Stahlkonstruktion der Brückendecks und deren ausgesprochen schlanke Ausformung gegebene Anfälligkeit gegenüber seitlich anströmenden Winden. Diese Strömungen machen letztlich allen größeren Brücken zu schaffen, insbesondere dann, wenn ihre Brückenträger wie bei der HZMB als Hohlkasten ausgeführt sind. Wie bei der Tragfläche eines Flugzeugs verleiht eine in etwa rechtwinklig auftreffende Windströmung dem Brückendeck nämlich einen bestimmten Auftrieb, der dazu tendiert, das Brückendeck zunächst ein wenig anzuheben, bis die Elastizitätsgrenze der Konstruktion erreicht ist, und diese in eine entgegengerichtete Bewegung verfällt. Der Effekt stellt solange kein Problem dar, als diese latente Schwingung nicht in den Resonanzbereich der Brücke fällt und sich dadurch allmählich aufschaukelt.
Um das zu verhindern, griffen die chinesischen Konstrukteure wie bei vielen ihrer spektakulären Brückenbauten auch hier auf deutsche Expertise zurück. In ihrem Auftrag entwickelte der Münchener Hersteller Maurer zur Bedämpfung der Schrägseilkonstruktionen der HZMB ein dauerhaft ermüdungs- und verschleißfreies TMD-Dämpfungssystem (Tuned Mass Damper) zum Einbau in die Brückendecks. Dabei mussten sich die Ingenieure des Spezialisten nicht allein mit den sehr niedrigen Resonanzfrequenzen bis zu 0,33 Hertz herumschlagen, sondern zudem einen Weg finden, die zur Bedämpfung dieser tiefen Frequenz nötige Masse von bis zu 6,25 Tonnen in dem beengten Raum innerhalb des Brückenträgers unterzubringen, und zudem deren reibungsfreie, vertikale Führung zu bewerkstelligen. Kein ganz leichtes Unterfangen, da andererseits die für eine optimale Dämpfung nötige, ausgesprochen weiche Auslegung der Federn im Zusammenspiel mit der enormen Masse des Dämpfungselements dazu führte, dass die im ungespannten Zustand rund 4 Meter hohen Federn unter der Last der TMD-Masse bis auf eine Höhe von 960 Millimetern (!) zusammengedrückt werden – eine enorme Herausforderung.

Die Fertigstellung im Blick

Anthony Cheung Bing-leung, Minister für Transport und Wohnungsbau in Hongkong, erklärte im Februar, dass auf der gesamten Strecke noch unterschiedlichste Arbeiten andauerten, dass aber mit einer endgültigen Fertigstellung spätestens gegen Ende des Jahres zu rechnen sei. Bis dahin dürfte das Bauwerk einiges mehr als die ursprünglich veranschlagten rund 13 Mrd. Dollar (etwa 11,7 Mrd. Euro) verschlungen haben.
In einem weiteren Bauabschnitt soll schließlich eine nächste Verbindung von den östlich der Flughafeninsel Chek Lap Kok gelegenen Hong Kong Boundary Facilities nach Norden in die sogenannten New Territories geschaffen werden, für die ein zusätzlicher, etwa 5 km langer Tunnel und eine 9 km lange Brücke nach Tuen Mun gebaut werden. Entsprechende Planungen sowie bereits auch die Schaffung einer weiteren künstlichen Insel sind abgeschlossen. Derzeit läuft der Aushub des Meeresbodens für den Unterwassertunnel und von Land her arbeitet sich eine Tunnelbohrmaschine auf den geplanten Übergang in den Absenktunnel zu. Die Fertigstellung der Verbindung in die New Territories ist erst nach der Eröffnung der Hongkong-Zhuhai-Macao-Brücke terminiert. 

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