Der Stein von Rosette und der Obelisk von Philae gelten als Meilensteine der Entzifferung der altägyptischer Schriften und wurden daher als Namenspatrone einer Mission auserkoren, die an den Rand unseres Sonnensystem führen würde, um dort durch Analyse über vier Milliarden alter Materie etwas über die Geschichte unserer Erde zu erfahren

Der Erstflug der weiterentwickelten und wesentlich leistungsfähigeren Ariane 5ECA am 11. Dezember 2002 stand unter keinem guten Omen. Bereits 96 Sekunden nach ihrem Start im Weltraumbahnhof Kourou um 22:22 Uhr funkte die damals stärkste Rakete der ESA die Meldung eines Druckverlusts im Kühlsystem des Haupttriebwerks zur Erde, nach 137 Sekunden registrierte man im Kontrollzentrum Abweichungen von der geplanten Flugbahn und nach Abtrennung der beiden Booster geriet das 7080 Kilonewton schubstarke Gespann vollständig außer Kontrolle. Als sich der Havarist beim Absturz aus der erreichten Höhe von 150 Kilometern der Erde wieder auf 69 Kilometer genähert hatte, erfolgte seine Sprengung. Mit diesem inzwischen vierten Fehlstart schien sich der Ruf der Ariane 5 als Sorgenkind der europäischen Raumfahrt endgültig verfestigt zu haben.

Bevor also der nächste Start der Rakete würde erfolgen können, musste zunächst die genaue Ursache der Havarie geklärt werden. So kurz vor Weihnachten war allerdings kaum daran zu denken, dass die anberaumte Untersuchung bis zum angesetzten nächsten Start der Ariane zu einem Ergebnis kommen würde. Als dann feststand dass der Absturz auf ein überhitztes Raketentriebwerk zurückging, dessen Konstruktion in der Folge überarbeitet werden musste, war klar, dass sich bis zum nächstmöglichen Start des Trägersystems das Zeitfenster für die ursprünglich auf den 13. Januar 2003 terminierte Rosetta-Mission geschlossen haben würde.
So begann die bislang erfolgreichste Weltraummission der European Space Agency (ESA), welche der Erforschung eines Kometen dienen sollte, mit einer Notlösung. Denn der ursprünglich als Forschungsobjekt auserkorene Komet 46P/Wirtanen konnte nun nicht mehr erreicht werden.
Was auch immer nämlich nicht auf einen erdnahen Orbit, sondern weiter ins Weltall gebracht werden soll, benötigt einen immensen Schubimpuls. Der kann von einer Rakete stammen – viel günstiger aber ist es, durch geschickt gelegte Flugbahnen die Anziehungskraft größerer Himmelskörper wie etwa der Erde oder des Mars für eine entsprechende Beschleunigung zu nutzen, um so in die Tiefe des Alls vorzudringen. Bloß setzen die dazu vollzogenen Swing-By-Manöver in Abhängigkeit von der zu einem bestimmten Zeitpunkt angenommenen Position eines anvisierten Zieles eben auch die entsprechende Lage der Planten voraus.
Die Wahl einer Notlösung
Leider hatte man nun aber durch den verzögerten Start genau jene für den Flug zum Kometen 46P/Wirtanen ideale Konstellation verpasst. Ergo musste ein anderes Ziel- und Forschungsobjekt bestimmt werden. Hautsache, es handelte sich dabei um einen noch „aktiven“, nicht ausgegasten Kometen, der also noch nicht alle seine bei größerer Nähe zur Sonne sich verflüchtigenden Bestandteile verloren hat, und damit noch die Analyse seiner gesamten, über vier Milliarden Jahre alten Materialzusammensetzung erlauben würde. Eines war nämlich klar: Rosetta würde einen Lander direkt auf den Kometen absetzen.

Die Wahl fiel auf den erst 1969 am Institut für Astrophysik in Alma-Ata von Klym Tschurjumow auf einer von Swetlana Gerassimenko am 11. September des gleichen Jahres aufgenommenen Fotoplatte entdeckten Kometen 67P, der fortan auch unter dem Namen Tschurimov-Gerasimenko (Чурюмов-Герасименко) bekannt wurde. 67P, kurz „Tschuri“, zog in unserem Sonnensystem bis dahin unerkannt weit draußen außerhalb des Neptunorbits seine elliptischen Bahnen um die Sonne. Seine Umlaufzeit um das Gestirn beträgt daher stolze 6,5 Erden-Jahre. Der mittlere Durchmesser des um seine erste Hauptträgheitsachse rotierenden Kometen wurde auf rund vier Kilometer geschätzt. Seine Dichte veranschlagte man auf einen Wert, der mit jenem von Kork vergleichbar ist und Rückschlüsse auf seine wahrscheinliche Materialzusammensetzung erlaubte. Danach bestünde der Komet durchgehend aus porösem, staubigem Eis. Das jedoch galt es, wie viele andere Annahmen, im Laufe der Mission zu verifizieren.
Die passende Ausstattung zählt

Ein solcher Einsatz verlangte natürlich auch nach einem speziell ausgestatteten Raumfahrzeug. Hierbei spielte zum einen die unter Berücksichtigung der notwendigen Flugmanöver veranschlagte Reisezeit von rund zwölf Jahren eine Rolle, zum anderen mussten sich die ESA-Entwickler mit dem Umstand auseinandersetzen, das sich Komet und Sonde am zuvor berechneten Rendezvous-Punkt derart weit von der Erde entfernt haben würden, dass die Laufzeit von Kommunikationssignalen die Größenordnung von etwa ca.30Minuten erreichen und eine direkte Steuerung von der Erde aus daher nich möglich sein würde.
Für die notwendige Energieversorgung über einen so langen Zeitraum bot sich daher also praktisch nur die Energieerzeugung mittels Solarzellen an, und aufgrund der äußerst begrenzten Möglichkeiten einer direkten Fernsteuerung musste das Gefährt durchaus in der Lage sein, sich selbst zu verorten und zu steuern.

So verpasste man Rosetta zwei jeweils fünfteilige Solarzellenausleger mit insgesamt 32Metern Spannweite, die in der Lage waren, selbst bei dem Dreieinhalbfachen der mittleren Entfernung zwischen Erde und Sonne noch rund 850W Leistung elektrischer Leistung zur Verfügung zu stellen. Die Aufgabe der für eine zuverlässige Navigation unabdingbaren Positionsbestimmung sollte zwei redundanten Star-Tracker zufallen, welche die Forschungssonde auf ihre lange Reise mitnehmen würde, und die ihr gestatten würden, die ihr vom Europäischen Raumflugkontrollzentrum (ESOC) in Darmstadt aufgetragenen Manöver selbständig auszuführen. Sie bestehen aus eine Kamera, die jeweils einen Ausschnitt des Sternenhimmels erfasst und einem Computer, der die Bilder auswertet und anhand vom Sternenkarten die eigene Position ermittelt.
[Separation-of-Rosetta-und-Philae] Zur Ausstattung der Sonde zählte, mit dem geplanten Missionsverlauf korrespondierend, zudem eine etwa kühlschrankgroße Landeeinheit namens Philae, die über ein dreibeiniges Landesgestell mit je einer Harpune zur Verankerung auf dem Kometen sowie eine bei Auslösung der Harpunen Harpunen anspringende Anpress-Rückstoßgasdüse verfügte. Ebenso hatte Philae natürlich auch eine wissenschaftliche Grundausrüstung zu Analyse von Bodenproben an Bord.
Beginn einer langen Reise

Am 2.März 2004 um 08:17 Uhr MEZ schob sich die drei Tonnen schwere Sonde an der Spitze einer Ariane 5 G+ als Trägerrakete unter Flugnummer 158 schließlich in den Himmel über dem Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana. Den Löwenanteil von Rosettas Gewicht machten allein ihre 1670 kg Treibstoffvorräte zur Versorgung ihrer insgesamt 24 Zweistoff-Triebwerke aus.
Rund ein Jahr später vollzog Rosetta ein erstes Swing-By-Manöver, bei dem die Sonde sich der Erdoberfläche bis auf 1900 km näherte und dabei die Erdanziehung zur Beschleunigung zu nutzen. Diese Prozedur wurde insgesamt drei weitere Male ausgeführt, bei zunächst ein Vorbeiflug am Mars und darauf zwei weitere Beschleunigungsphasen unter Ausnutzung Gravitation unseres Heimatplaneten folgten.
Vor dem letzten entscheidenden Swing-By-Manöver, durch welches Rosetta schlussendlich genug Schwung für einen Flug in die äußeren Regionen unseres Sonnensystems aufnehmen konnte, passierte die Sonde 2008 am inneren Rand des Asteroidenhauptgürtels, den 4,6 Kilometer großen Asteroiden (2867) Šteins sowie etwas mehr als ein halbes Jahr danach am 10. Juli 2010 in 3162 Kilometern Abstand den mit rund 100 km vergleichsweise großen Asteroiden (21) Lutetia. Bei diesem Vorbeiflug kam erstmals ein Teil der wissenschaftlichen Instrumente Rosettas zur Anwendung.

Da sich die Sonde nach diesem Rendezvous zügig einer Sonnenentfernung von 660 Millionen Kilometern näherte, jenseits derer die Energieausbeute der Sonnenpaneele nur noch zur Versorgung des Bordcomputers und einiger Heizelemente für die wissenschaftliche Nutzlast ausreichen würde, wurde Rosetta anschließend für die 31 monatige Reise über die Bahn des Neptun hinaus in den Kuipergürtel am Rande unseres Sonnensystems in einen Schlafmodus versetzt. Zur Stabilisierung während dieser Phase ließ das ESOC den Himmelskörper mit einer Umlaufzeit von 90 Sekunden um sich selbst rotieren.
Die 957-tägige Standby-Phase endete am 20. Januar 2014 rund 10 Monate vor der geplanten Landung von Philae. Am 21. Mai leitete das ESOC ein erstes Bremsmanöver ein, dem im Juni zwei weitere Big Burns mit insgesamt fast 17 Stunden Brenndauer der Triebwerke folgten, um auf den Kometenorbit einzuschwenken.
Einschwenken auf Tschuris Kreise

Mit Rosettas OSIRIS-Kamera konnte Tschuri am 11. Juli dann erstmals als unerwartet unregelmäßig geformter Komet wahrgenommen werden. Weitere OSIRIS-Bilder vom 6. August 2014 offenbarten dann noch wesentlich präziser seine ungewöhnliche Gestalt. Sie rührt offenbar von einer im noch jungen Sonnensystem mit geringer Geschwindigkeit erfolgten Kollision eines etwa 2,5 × 2,5 × 2,0 und eines 4,1 × 3,2 × 1,3 Kilometer großen Kometen her, welche aneinander haften blieben und dabei den heute sichtbaren Doppelkörper bildeten.
Nunmehr ließen sich auch weitere Variablen bestimmen. So konnte das Team der ESA die Zeitdauer einer vollständigen Rotation von Tschuri um die eigene Achse von 12,4 Stunden ermitteln, die Gesamtmasse schätzte man mit einem Unsicherheitsfaktor von +/- 0,7 Milliarden Tonnen auf 10,2 Milliarden Tonnen.

Mitte September hatte sich Rosetta 67P bis auf einen Abstand von knapp 30 Kilometern genähert und war in einen elliptischen Orbit übergegangen. Bis zum 10. Oktober verringerte das ESOC Rosettas Flughöhe dann schrittweise auf 10 Kilometer, um eine genaue Kartografierung der Oberfläche vorzunehmen und einen Landeplatz für Philae zu finden. Zudem ließ sich bei dieser geringen Entfernung auf indirektem Wege auch Tschuris Masse genauer ermitteln: Dazu analysierte man die von dem Raumfahrzeug ausgesandten und durch seine Eigenbewegung einem Doppler-Effekt unterworfenen Signale. Somit erlaubte die Art der Frequenzänderungen einen direkten Rückschluss auf Rosettas Bewegung und diese wiederum eine indirekte Bestimmung der Stärke des Gravitationsfelds von 67P. Damit musste die Angabe seiner Masse auf unter 10 Milliarden Tonnen korrigiert werden. Das Volumen des Kometen wurde auf 18,7 Kubikkilometer beziffert.
Landung auf einem Kometen

In einer Entfernung von 22,5 Kilometern erfolgte dann am 12. November 2014 um 10:03 MEZ das Abtrennen von Philae. Aufgrund der nur geringen Gravitation von Tschuri wirkte auf den Lander mit seiner Masse von 100 Kilogramm nur eine Gewichtskraft von 0,01 Newton. So setzte Philae zwar um 17:34 MEZ in der Zielregion J auf, sprang aber wegen des Versagens der Anpress-Rückstoßgasdüse wieder ein gutes Stück zurück, um dann um 19:25 MEZ erneut dann nur noch in der Nähe des vorgesehenen Landeplatzes aufzukommen. Was allerdings wiederum einen nunmehr deutlich kleineren Hüpfer zur Folge hatte. Erst beim dritten Bodenkontakt um 19:32 MEZ kam Philae in einem stark verschatteten Bereich zum Stillstand. Mit dem Ergebnis, dass dem Lander nach 2 Tagen und etwa 8 Stunden der Saft ausging und nur ein Teil der vorgesehenen Untersuchungen der Kometenoberfläche ausgeführt werden konnte.

Rosetta selbst verblieb in einer Umlaufbahn mit etwa 20 Kilometer Abstand zu Tschurjumow-Gerassimenko und näherte sich mit ihm dem im August des Folgejahres erreichten sonnennächsten Punkt (Abstand 193 Millionen Kilometer) seiner Umlaufbahn. Dank der ansteigenden Sonneneinstrahlung in dieser Flugphase verfügte Philae nach fast 7 Monaten wieder genügend Energie, um am 13. Juni 2015 erneut Daten an Rosetta zu senden. Eine längerfristige Kommunikation kam aber nicht zustande.
Am 30. September 2016, rund zehn Monate noch dem ursprünglich geplanten Ende der Mission, steuerte man in Darmstadt Rosetta auf einen Kollisionskurs mit Tschuri. Fünf Sekunden vor dem Aufprall funkte die Sonde eine letzte Nahaufnahme zur Erde, die sie mit ihrer hochauflösenden Kamera in einem Abstand von etwa 20 Metern geschossen hatte. Um 13:19 MEZ registrierte das ESOC in Darmstadt am Ende von Rosettas fast sieben Milliarden Kilometer langen Fluges den Abbruch des Funksignals.
Erkenntnisgewinn nach 12 Jahren

Im Verlaufe ihrer Mission zwischen 2004 bis 2016 funkte Rosetta fast hunderttausend Aufnahmen zur Erde, die auf der Seite der ESA inzwischen zum Download bereitstehen. Interessanter noch als dieser Schatz zum Teil atemberaubender Bilder sind einige der wissenschaftlichen Erkenntnisse der Mission. So konnte Rosetta insgesamt 35.000 der eruptiv auftretenden Ausgasungen von 67P analysieren und stellte fest, das organische Verbindungen beinahe die Hälfte des dabei ins Weltall geschleuderten Materials ausmachten. Rund 45 Prozent des Gesamtmasse von Tschuri sollen auf Kohlenstoffhaltige Moleküle entfallen. Die auf 67P im Überfluss vorhanden Eiskristalle hatten allerdings während ihrer 4,6 Milliarden Jahre andauernden Reise durch das All niemals die Chance, mit den gefundenen Mineralien eine Verbindung einzugehen. Die Schweizer Astrophysikerin Kathrin Altwegg konnte auf dem Kometen sogar Aminosäuren nachweisen, die als Bausteine des Lebens gelten.

Diese Erkenntnisse werfen ein deutliches Licht auf die Frage nach den Ursprüngen des Lebens auf der Erde. Die Theorie der Entstehung der dazu notwendigen Bausteine in einer sogenannten Ursuppe gerät damit ins Hintertreffen. Auch das die Oberfläche unseres Planeten zu rund zwei Drittel bedenkende Wasser scheint, wie Isotopenmessungen der Eiskristalle auf Tschuri nahelegen, erst später durch einen oder mehrere Kometen hierhin gekommen zu sein. Die Mission kostete rund eine Milliarde Euro, die von insgesamt 17 beteiligten Nationen aufgebracht wurden. [Last-Image]