Mit aufwändigen Renderings ist Hollywoods Filmindustrie in der Lage, auch die abgefahrenste Fiktion im Kino Realität werden zu lassen. Außer acht gelassene Naturgesetze entlarven die Illusion aber umgehend
Frauen kreischen, Autos stürzen in die aufgewühlte See, ein Schulbus schafft es noch um Haaresbreite, vom Brennpunkt des Geschehens zu entkommen. Sekunden später klafft in der Mitte der Golden Gate Bridge eine riesige Lücke. Gerade hat Godzilla in der jüngsten Fassung dieses Kino-Klassikers die Meeresenge in Richtung der San Francisco Bay passiert und dabei die berühmteste Brücke der Welt schwer beschädigt: Ihre mächtigen Tragkabel sind durchtrennt und Teile der Fahrbahn samt Unterkonstruktion in die kochende See gekracht. Ein letzter Blick von Bord eines der auf der Meeresenge patrouillierenden Schiffe der US Navy folgt dem gigantischen Reptil entlang einer Schneise der Verwüstung. Szenen wie diese sollen den Kinobesucher in den Sog der Handlung mitreißen. Ein bewährter Kunstgriff. Schon in der Frühzeit des Kinos ließ Buster Keaton 1926 im Stummfilm Der General eine ausschließlich zu diesem Zweck gebaute Eisenbahnbrücke und mit ihr die darüber hinweg fahrende Lokomotive vor laufender Kamera in den Rock River stürzen.
Heute ist natürlich durch den Einsatz anspruchsvollster Computer-Animation im Kino die Darstellung ungleich größerer Katastrophen möglich. Nur: So beeindruckend diese virtuell erschaffenen Szenarien auch geraten, ihre künstliche Entstehung eröffnet auch den Raum für eine Frage, die sich bei Keatons General erst gar nicht stellt: Würde sich etwa eine Hängebrücke beim Einsturz wirklich genau so verhalten?
Einsturz der Tacoma Narrows Bridge als historische Blaupause?
Wie eine Brücke bei schwerster Beschädigung einstürzen würde, das ist ganz sicher auch eine Frage der Konstruktion. Die Golden Gate Bridge ist wie fast alle großen Brücken dieser Welt eine Hängebrücke. Just über den Kollaps eines Vertreters dieses Brückentyps gibt ein Zeitzeugnis Auskunft, dessen Bedeutung in seiner Einzigartigkeit kaum zu überbieten ist: Der spektakuläre Einsturz der Tacoma Narrows Bridge wurde 1940 nämlich live auf Zelluloid gebannt. Diese Brücke war mit der Golden Gate Bridge engstes verwandt und repräsentiert nur wenige Jahre nach ihr entstanden, im großen und ganzen auch den gleichen Stand der Technik. Doch kann die Analyse dieses filmisch festgehaltenen Bücken-Crashs hier überhaupt weiter helfen? Lassen wir die eingangs beschriebene Filmsequenz der 2014er Fassung von Godzilla nochmals ein Stück zurück laufen und halten den Kino-Streifen genau an der Stelle an, an der sich das Biest von der Brücke weg in Richtung San Francisco Bay bewegt: Die 227 Meter hohen Art Deko-Türme der Brücke sind unbeschädigt. Lediglich aus dem Brückenträger mit der Fahrbahn ist ein Stück herausgebrochen. Die beiden verbliebenen Stümpfe ragen weit über die Türme hinaus auf die Meeresenge. Selbst die jeweils an die 22.000 Tonen schweren Tragkabel beschreiben, obwohl deutlich sichtbar auseinander gerissen, ihren gewohnten Bogen über das 1280 Meter weite Mittelfeld der Brücke.
Hier haben wir also eine Brücke, die total zusammengebrochen ist – dort, im Kino, ein Beispiel schwerer Beschädigung, die indessen nicht das ganze Bauwerk in Mitleidenschaft zieht. Doch schauen wir genauer: Die beiden Hauptkabel, DAS tragende Element einer Hängebrücke, sind an jenem 7. November 1940 beim Crash der Tacoma Narrows Bridge nicht gerissen und spannen sich auch noch Tage später über die Wasserstraße. Genau dieser Worst Case, die Durchtrennung der Hauptkabel wird uns nun gerade in dem Godzilla-Remake von 2014, sowie kurze Zeit später auch in Dark Knight Rises oder auch in Planet der Affen (da sogar auf dem Filmplakat festgehalten) mit der Manhattan Bridge, Williamsburg Bridge oder Golden Gate Bridge vor Augen gehalten. Und immer wieder sind wir dabei mit dem gleichen seltsame Phänomen konfrontiert: Die Kabel der Brücke sind in der Mitte des Hauptfelds durchtrennt, es fehlt ein Stück des Brückenträgers und die Reststücke ragen wie von Geisterhand gehalten weit über die Brückenpfeiler hinaus ins Nichts.
Ein Blick auf das Konstruktionsprinzip
Dabei weiß man doch zum Beispiel aus dem Kinofilm Indiana Jones – Tempel des Todes genau was passiert, wenn die Tragseile einer über eine Schlucht gespannten Seilbrücke durchtrennt werden: Beide Enden stürzen auf die Hänge der Schlucht zu. Simple Logik. Warum sollten große Hängebrücken anders reagieren?
Die modernen Vertreter dieses an sich uralten Brückentyps unterscheiden sich von ihren Vorläufern doch nur durch eine abgehängte Ebene, die das unvermeidbare (und namensgebende) Durchhängen der Konstruktion auf die Tragseile beschränkt. Und weil es bei der Überquerung großer Ströme in der Regel nur flach ansteigende Uferzonen gibt, müssen die Tragkabel, damit es überhaupt zu ihrem Durchhängen kommt, über hohe Türme geführt werden. Was wiederum das Hauptfeld der Brücke um zwei Seitenfelder ergänzt und somit die Brückenlänge in etwa verdoppelt. Die Belastung der durchhängenden Seile/Kabel (zum Beispiel durch eine daran eine aufgehängte Fahrbahn) verursacht logischerweise eine nicht unerhebliche Zunahme der Zugspannung in Tragkabeln. Zu der sich natürlich auch noch jene Zugkräfte addieren, die vom Eigengewicht der Kabel (bei der Golden Gate Bridge jeweils ca. 22.000 Tonnen) verursacht werden. Last but not least gibt es noch einen dritten Faktor, der Einfluß auf die Zugspannung der Tragkabel hat: Denn die Kabel einer Hängebrücke werden auch noch mit einer zusätzlichen Zugspannung beaufschlagt, die ihr Durchhängen und damit die notwendige Höhe der Türme auf ein vertretbares Maß reduziert.
Wenn die Konstruktion aus dem Gleichgewicht gerät
Beim Crash der Tacoma Narrows Bridge lässt sich nun sehr genau beobachten, was passiert, wenn zumindest eine dieser Kräfte entfesselt wird. Am Tag ihres Zusammenbruchs setzte bei dieser Galloping Gertie genannte Brücke statt des üblichen Auf- und Abschwingens ein fatales wechselseitiges Verwinden des Brückenträgers ein, was verheerende Verformungen zur Folge hatte. Das führte letztlich dazu, dass sich ein großer Teil des Hauptfelds der Brücke losriss und in Puget Sound stürzte.
Bei der Tage nach dem Crash eingeleiteten Inspektion des schwer beschädigten Bauwerks zeigte sich, dass auch die Hauptkabel durch eine Scherbewegung in Längsrichtung stark beschädigt waren. Beide Kabel hatten sich nämlich im Moment des Zusammenbruchs über die Kabelsättel an der Spitze der Pylone hinweg mehrmals mit solcher Gewalt um etliche Meter vor- und zurück bewegt, das hunderte von Drähten gerissen waren. Doch was war die Ursache? Bei der genauen Analyse des Filmmaterials zeigt sich, dass diese konstruktiv nicht vorgesehene Bewegung der Kabel aus einer Ausgleichsbewegung resultiert, die einsetzte, als die Konstruktion mit dem Absturz großer Teile des mittleren Brückenträgers ins Ungleichgewicht geriet: Vom Gewicht des abgerissenen Teils entlastet, schnellen die Kabel in der Mitte der Brücke auf der Stelle um einige Meter in die Höhe. Das liegt daran, dass nun das Gewicht der verbliebenen seitlichen Fahrbahnträger keinen Gegenpart mehr findet und ihr Gewicht die Kabel nach den Seiten hin zerrt. Außerdem sieht man, dass ein Teil des Brückenträgers im Hauptfeld der Brücke nicht sofort zur Gänze in den Puget Sound stürzt: Seine Fallbewegung wird kurz vor der Wasseroberfläche jäh gestoppt, weil es über einen gut und gerne fünfzig Meter langen Blechstreifen noch Sekundenbruchteile mit den intakten Resten des Trägers verbunden bleibt. Durch diesen Impuls werden die Kabel im Mittelfeld der Brücke nochmals nach unten gerissen und kehren kurzzeitig in ihre ursprüngliche Position zurück. Als sich dieses Teil dann endgültig losreißt und in den Fluten versinkt, gewinnt wieder das Gewicht der Seitenfelder die Oberhand: Abermals werden die Kabel zur Seite gezerrt.
Sie müssen dabei nicht nur eine enorme Reibung überwinden sondern sich auch aus der Umklammerung der Kabelsättel lösen. Die Folgen dieser Bewegung sieht man indes nicht nur den Kabeln an: Auch die Pylone müssen mit einen Teil der wirkenden Kräfte klar kommen. Sie werden beim Emporschnellen der Kabel in Richtung des auf Entlastung drängenden Kabels nach außen gebogen.
Worst Case im Brückenbau: Wenn es kein Halten mehr gibt
Wenn also die Entfesselung der Zugspannung in den Kabeln einer Hängebrücke derart massive Folgen hat, dass sogar die Pylone verbiegen, was würde erst passieren, wenn, wie im Kino zu sehen, die Kabel komplett durchtrennt werden? Nichts?
Eine der schlimmsten Katastrophen in der Geschichte des Brückenbaus ereignete sich am 16.04.1850 im französischen Städtchen Angers: An diesem Tag stürzte die Pont de la Basse Chaine in die Maine, eine erst wenige Jahre zuvor im September 1838 fertiggestellte Hängebrücke. Wie viele andere frühe Beispiele dieses Brückentyps war sie noch als einfeldrige Hängebrücke ausgeführt, das heißt ihre Kabel waren nach dem Passieren der Pylone gleich in gemauerten Widerlagern abgespannt ohne weitere Seitenfelder zu tragen. Unzureichender Korrosionsschutz hatte die Kabel der französischen Brücke jedoch auf ihrem Weg durch das Fundament hinunter zu ihrer Verankerung über Jahre dem Rostfraß ausgeliefert. Just in dem Moment, als als ein Bataillon der französischen Armee im Gleichschritt die Brücke überquerte, hielten sie der Belastung nicht mehr stand. Es kam zum Kabelbruch. Beide Kabel der Abspannung am linken Ufer rissen sich los und krachten mitsamt der Pylone und des 102 Meter langen Brückenträgers in die Maine. 226 Menschen fanden den Tod. Fotos von diesem Ereignis gibt es nicht. Doch eine zeitgenössische Lithografie überliefert genau, welches Bild die Brücke nach ihrem Einsturz bot. Der Tragkraft der Kabel beraubt, hängt der Brückenträger von seiner seitlichen Verankerung jäh abfallend sichtbar deformiert in den Fluß. Auf der gegenüberliegenden Seite ist er der Bewegung der in die Maine krachenden Kabel folgend aus der Verankerung gerissen worden. Bei der Pont de la Basse Chaine rissen die Kabel jedoch nicht im Bereich des Hauptfelds sondern im Bereich des Abspanns, der bei der Golden Gate einem der Seitenfelder entspräche. Und genau wie bei dem überlieferten Unglück wäre auch bei der Golden Gate zu erwarten, das bei einem Kabelbruch im Bereich der Seitenfelder der bereffende Pylon buchstäblich weggerissen würde. Innerhalb von Sekunden würde die eine Seite der Brücke zur Gänze in den Pazifik krachen. Die beiden nicht direkt betroffenen Felder würden analog zur Unglücksbrücke in Frankreich deutlich verformt durchhängen.
So nahe wie Möglich an der Realität
Auch für eine weitere Variante gibt es ein historisch belegbares Vorbild: Für den Fall nämlich, das die Hauptkabel einer solchen Brücke an mehreren Stellen zugleich unterbrochen werden würden: Genau das passierte am 18. Januar 1945 bei der Sprengung der alten Széchenyi-Brücke im Herzen von Budapest durch die vor der roten Armee flüchtende deutsche Wehrmacht. Dieses im Jahr 1849 fertiggestellte Bauwerk überspannte mit einer Gesamtlänge von 375 Metern die Donau und war wie die Golden Gate in drei Felder aufgeteilt.
Die Sprengung der Ketten beraubte den Brückenträger seines Haltes worauf er unmittelbar in die Donau klatschte. Glück im Unglück für die Brücke: Durch die gleichzeitige Sprengung der Ketten über allen drei Brückenfeldern traten die Belastungen durch seitlich wirkende Zugkräfte hier nicht auf. So blieben die Pylone und die Ankerfundamente der Brücke weitestgehend intakt und damit konnte die Széchenyi-Brücke nach Kriegsende mit überschaubarem Aufwand wieder aufgebaut und 1949 für den Verkehr freigegeben werden.
Die Bilder belegen: Ohne darüber gespannte Kette oder Kabel konnte sich der Brückenträger nicht halten. Am traurigen Anblick der ebenfalls gesprengten Budapester Elisabethbrücke erkennt man es noch besser: Der Brückenträger hängt völlig deformiert von seiner Verankerung auf Höhe der Pylone in die Donau. Das bei dieser ebenfalls als Kettenkonstruktion ausgeführten Brücke einer der Pylone stehen blieb, ist wie bei der Pont de la Basse Chaine dem Umstand geschuldet, dass auch die Elisabeth-Brücke nur ein Hauptfeld besaß. Dennoch wurde kurz nach der Sprengung die betreffende Abspannung des Pylons mit einer Hilfskonstruktionn unterstützt um sein Abknicken zu vermeiden.
Was also wirklich passieren würde
Was ist jetzt nun zu dem im Kinofilm Godzilla entworfenen Szenario eines Kabelbruchs in der Mitte des Hauptfelds der Brücke zu sagen? Nun, dieser Fall würde alles bisher Diskutierte in den Schatten stellen. Kaum hätte das Monster die Kabel auseinander gerissen, fänden sich Sekunden später bereits beide Enden des zerstörten Brückenträgers in den Fluten des Pazifiks wieder. Und Godzilla hätte sich kaum einen Meter bewegt, schon würden die Pylone der Zugkraft der Kabel der Seitenfelder nachgebend unter gewaltigem Getöse wie Streichhölzer in Richtung der Uferzonen knicken. Das wiederum würde dazu führen, das auch die Seitenfelder zunehmend durchhängen und ebenfalls in den Pazifik stürzen würden. Das stolze Bauwerk wäre binnen weniger Minuten zu weit über 80% von der Oberfläche verschwunden.
Man darf also auf die nächsten Katastrophen-Filme im Kino gespannt sein.
Wie kam es dazu, dass am 7. November 1940 just im Moment ihres Zusammenbruchs eine Filmkamera auf die damals drittgrößte Brücke der Welt gerichtet war? Das lag vor allem an ihrer auffälligen Neigung zu Wind-induzierten Eigenschwingungen, die sich schon in der Endphase der Bauarbeiten abzuzeichnen begann und die der nahe Seattle im Bundesstaat Washington gelegenen Konstruktion nach kürzester Zeit den Spitznamen Galloping Gertie eingebracht hatte. So versammelte sich beginnend mit dem Spätsommer der Jahres 1940 bereits beim leisesten Windhauch entlang des Puget Sounds eine zunehmend wachsende Schar von Schaulustigen an der Brücke und suchte mit Filmkameras bewaffnet, ihr eigenartiges Auf- und Abschwingen festzuhalten.
(Tacoma-Narrows-Video-lang) Überdies hatte ein Team von Spezialisten der University of Washington, alarmiert von diesem damals unerklärlichen Phänomen, bereits vier Wochen nach der Freigabe für den öffentlichen Verkehr auf dem Mauthäuschen der Brückenzufahrt eine Kamera zur Beobachtung der Schwingungen installiert, die dann kurze Zeit später im Verein mit einigen Hobby-Filmern diesen Einsturz auf Zelluloid festhielt. Durch den Zusammenschnitt dieser aus unterschiedlichen Perspektiven gedrehten kurzen Filmsequenzen ist ein einzigartiges Filmdokument entstanden, welches dieses dramatische Ereignis noch heute packend vor Augen führt.